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Man kann's auch übertreiben. So wie hier in Völklingen (Saarland) muss es ja nicht gleich aussehen.

© dpa

Plädoyer für Weihnachtsdekoration: Stellt mehr Lichter in die Fenster!

Weihnachtsdeko, Blinkelämpchen? Pfui, Spießerkitsch! Braucht heute doch niemand mehr. Oder? Ein kleines Plädoyer für Schwibbogen und Leuchtwurst als Zeichen der Menschlichkeit.

Dass heute weniger Lametta ist als früher, kann man auch begrüßen. Auf einem coolen Blog über eine coole Straße in Leipzig wurde zu Beginn des Advents ein „Gesamtüberblick“ zum Stand der dortigen Weihnachtsdekoration gepostet. Zu sehen waren drei grobkörnige Handyfotos von Erdgeschossfenstern. Darin: ein struppiger Zwerg-Weihnachtsbaum auf einem Marmorsims, eine Parade tanzender Miniaturkühe mit Goldflitter an den Hufen und ein Plastikstern, halbverdeckt von einem Fensterrahmen. Eine Deutung wurde nicht mitgeliefert, der Gestus war aber klar: Stolz auf eine Gegend, die saisonalen Kitsch weitgehend hinter sich gelassen hat; Lieblosigkeit als Lebensleistung eines aufgeklärten Stadtbürgertums.

Coolness ist nicht der einzige Grund, auf Weihnachtsdeko zu verzichten. Beim traditionellen Illuminationslästerspaziergang durch den Heimatvorort fiel meiner Mutter und mir bereits am ersten Weihnachtstag 2014 auf, dass es immer weniger zu lästern gibt. Die Runde verbrachten wir dann damit, die Gründe zu diskutieren. Danach notierte ich sieben, die uns wesentlich erschienen:

1. Die Gesellschaft wird extremer. Wer aus Narzissmus dekoriert, will mindestens „Das perfekte Weihnachtshaus“ bei Vox sein, sonst lässt man’s ganz. Damit verbunden:

2. Nachbarn sind einander zunehmend unbekannt und uninteressant. Geltungsbedürfnis schielt da nicht wie einst Oma auf die Siedlung, sondern eben – wenn überhaupt – auf Social Media oder aufs TV.

3. Christliche Tradition verliert ebenfalls an Bindungskraft. Logo.

4. Konsumismus is over. Im (gefühlten) kollektiven sozialen Abstieg bleiben nur die ganz Schmerzfreien zeigefreudig. Damit zu

5. Nach kurzem Aufstieg ins Aufsteigermilieu (mit LED, Fernsteuerung, Ironie) ist der Deko-Exzess wieder Sache ungepflegter Mehrfamilienhäuser, was andere Aspiranten zunehmend zurückschrecken lässt.

6. Die mobile (und landesweit verstreute) Gesellschaft schafft zu Festen extreme Knotenpunkte. Gerade an den Feiertagen sind Häuser und Wohnungen entweder hell erleuchtet und voll oder voll dunkel und verlassen. Je nachdem, wo die Familie sich trifft.

7. Strom wird ja auch immer teurer. Und das Klima pflegebedürftiger.

Nun sind das zum Teil Dinge, die man niemandem zum Vorwurf machen kann (3., 4., 6., 7.). Andererseits waren manche Deko-Motivationen schon immer mindestens zweifelhaft (1., 2., 5.). Hier soll auch nicht die übertriebene Beglitzerung von Shoppingmalls zur Konsumentenstimulation geheiligt werden. Keines Stadtvogels Tag-Nacht-Rhythmus verdient Verwirrung, damit irgendein Elektronikhersteller mehr alukapselbetriebene Pfuibäh-Kaffeemaschinen verkauft!

Deko ist Selbstauslieferung!

Was sich aber durchaus ersehnen lässt: das kleine Licht als kleines Zeichen. Wer ein solches ins Fenster stellt, gibt seiner Umwelt ein großartiges Signal. Man zeigt damit nicht nur, dass man ein menschliches Bedürfnis hat, sich in dunkelster Nacht ein wenig Helligkeit zu bewahren. Viel wichtiger ist die Bereitschaft, das mit aller Welt zu teilen.

In Zeiten, da allenthalben die Ironielämpchen aufblinken, wenn irgendjemand etwas Sentimentales ernst meint, ist es schon eine ziemliche Leistung, sich derart auszuliefern. Ja, genau: Wer weihnachtlich dekoriert, gibt sich schutzlos. Denn zwar zeigt die notwendig überbordende (weil auf die sonstige Ausstattung noch draufgesetzte) Saisondekoration nicht unbedingt, was jemand im ganzjährigen Sinne „schön“ oder „ästhetisch“ findet. Sie zeigt aber, worin er sich wohlfühlt, wenn es zur winterlichen Einkehr kommt.

Nun flammend oder gar im Sinne einer konstruierten Leitkultur Lichterketten herbeizuappellieren, ist natürlich Quatsch. Freiheit ist immer die Freiheit des Deko-Muffels! Aber eine kleine Ermutigung in Richtung all jener, die aufgrund irgendwelcher Erwägungen den Drive verloren haben, Schwibbögen in Fenster zu stellen und Leuchtwürste um Balkongitter zu wickeln, kann ja nicht schaden. Dieses Irrationale macht moderne Großstädte menschlicher. Und außerdem möchten wir wieder mehr zu lästern haben.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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