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Spandauer Vorstadt. Mitte ist von hier 13 Kilometer entfernt.

© Thilo Rückeis

Pläne für die „Havelwerke“: Hipster für Spandau

Spandau hat in Berlin nicht gerade den Ruf eines Trendsetter-Bezirks. Ein Architekt aus Mitte will das jetzt ändern. Die „Havelwerke“ sollen Hipster und Kreative anlocken – mit Wasserzugang und Raum zum Träumen.

Das nennt man einen starken Glauben: Gerade Spandau habe das Potenzial, um zu einem Ort der Kreativen, der Neu-Denker und Trendsetter zu werden, meint der Architekt Ingo Pott – und muss darüber selbst leicht lächeln: Spandau! Der Kleine-Leute-Bezirk, der sich noch immer einiges auf seinen ideellen Separatismus, seinen Abstand zur Großstadt zugutehält? Warum Spandau? Pott hat das wohl lange genauso gesehen – bis er diesen Ort entdeckt hat, an dem er jetzt steht, Eigentümer von 60 000 Quadratmetern altem Industriegebiet mit mehreren großen Hallen, die „Havelwerke“, gelegen am Telegrafenweg, gleich hinter der BMW-Motorradproduktion.

Er sei ein „Kind von Mitte“, sagt Pott über sich selbst, und als er das Areal zum ersten Mal besichtigt habe, da habe Spandau für ihnen einen Hipnessfaktor von „minus zehn“ gehabt. Aber dann: Alte Gemäuer, Industriehallen, Backstein, riesig viel Platz, Reihen voller Fenster, durch die das Licht einfällt, eiserne Treppen – ist es nicht genau das, was Leute auf der Suche nach unentdeckten Freiräumen zum Träumen bringt? Befände sich die Fläche in Mitte oder Kreuzkölln – sie wäre bis zur obersten Hallenkante voller Projekte, Start-ups, Großkünstler und höchst erfolgreicher Geschäftsleute, die dringend eine Adresse mit dem Hipnessfaktor plus zehn haben wollen.

Pott macht den Eindruck, als wolle er gar nicht unbedingt diese Entwicklung für das Industrieareal, das er mit einem Partner von Thyssen gekauft hat. Schon der Kauf hatte etwas von einem Zufall. Das Exposé habe schon im Papierkorb gelegen, erzählt Pott, als ihm ins Auge sprang: Das ist ja Wasser! Das könnte allerdings ein die Hipness des Geländes erheblich steigernder Faktor werden.

Schlendern über das alte Pflaster in Richtung Havel

Was hier werden soll, ist in Ingo Potts Kopf noch gar nicht fertig. Erst mal freut er sich über das, was er findet. Für viel Geld habe er Schutt abfahren lassen. Danach ließ er schichtenweise Asphalt entfernen und fand das alte Pflaster aus der Zeit, als auf dem Gelände alles Mögliche produziert wurde, was Preußen an Rüstungsgütern brauchte. Jetzt schlendert man über das alte Pflaster vom Eingang des Geländes an einer Autowerkstatt vorbei in Richtung der Havel und einiger schöner alter Bäume, der Wind weht, die Havel hat die Weite eines Sees – und man ist an einem Strand. Zwanzig mal zwanzig Meter nur, aber frischer Sand, Zugang zum Wasser, wenn es mittags heiß ist. Zwei Gänse machen eine Pause vom Fliegen.

„Freiraum gegen Dezentralität“, sagt Pott: Hier an der Havel, auf diesem Industriegelände, ist noch alles möglich – wenn man sich nicht an der Distanz von Mitte bis hier stört. Pott hat sein Architekturbüro dort, wo Leute arbeiten, die ab 1990 nach Berlin gekommen sind und den Aufbruch der Stadt mitgemacht haben, in der Linienstraße in Mitte. Von dort bis zum Telegrafenweg sind es 13,1 Kilometer: zu viel, um Hipster und Trendsetter schlagartig von Kreuzköllnern zu Spandauern zu machen, aber nicht so viel, wie man meint. In Mitte erlebe er, „welche Prozesse in Gang sind“, sagt Pott, etwa mit der Galerie C/O Berlin, ehemals im Postfuhramt, künftig im Amerikahaus in Charlottenburg. Was in Mitte an „Prozessen in Gang“ ist, hat mit der Verwertung von Immobilien zu tun und damit, worüber man mit Leuten in Mitte rede, von denen immer mehr Touristen sind.

Bott beschreibt das mit ganz leichter Ironie, wer wüsste besser als ein Architekt, dass Berlin immer werden muss. Er habe einfach mal die Perspektive auf diese Prozesse wechseln wollen: Von außen nach innen habe er blicken wollen und sich gefragt, ob der Abstand von Spandau bis Mitte wirklich so groß sei.

Die U-Bahn hält fünf Minuten entfernt

Wenn man erst mal auf dem Gelände am Wasser steht, beantwortet man die Frage mit Nein. Eine halbe Stunde mit dem Auto, per Rad ist man kaum länger unterwegs. Die U-Bahn hält fünf Minuten zu Fuß entfernt – und man ist auf dem Gelände, das Pott eine Enklave nennt und als solche entwickeln will. Zwei neue Hallen will er bauen lassen. Eine Halle habe ein Sammler gemietet, um dort alte Autos unterzustellen. In einer anderen soll eine Kunstsammlung untergebracht werden. Die Firma „Minimum“ vertreibt von einer Halle aus elegante Möbel. Aber chic ist nicht alles – das Krude lebt auf dem Gelände fort in Gestalt eines Autoschraubers, der sich vor allem um VW-Bullis kümmert, aber in seiner Halle auch eine alten Empi-Buggy aus der Ära der Hippies herumliegen hat. Direkt am Wasser liegt die Produktionsstätte einer kleinen Hausboot-Firma, mittendrin ein Bunker, von dem Pott sagt, er kenne jemanden, der ihn als Weinlager benutzen wolle – und österreichischen Weißwein an einem langen Tisch im Freien ausschenken wolle.

Das sind die Ideen, die man hat auf dem Gelände. „Langfristig“ sollen sich die Havelwerke entwickeln, so der Architekt. Versteht sich, dass ein Anleger gebaut werden soll für Leute, die übers Wasser kommen. Auf dem Nachbarareal will Pott kleine Häuser für Kreative bauen lassen, auch Ateliers will er anbieten.

Dem Spandauer Wirtschaftsstadtrat Carsten Röding (CDU) hat Pott mit seinem Engagement, ohne es zu wissen, eine gigantische Freude gemacht. Natürlich grinst auch Röding in Anbetracht der These vom Trendbezirk Spandau. Aber das sich an diesem alten und ehrwürdigen Industriestandort Dinge tun, die sehr zeitgemäß erscheinen, dafür gebe es „eine sehr große Offenheit“ im Bezirksamt, sagt Röding. Was bedeute, dass zum Beispiel Bau- und Umbauanträge schnell bearbeitet und begleitet werden. Röding spricht von den früheren Rhenus-Speichern, wo „Büroateliers“ entstehen, er spricht von der Internetplattform coopolis, die Leute zusammenbringen will, die in Spandau kreativwirtschaftlich arbeiten. Dass die ganze Entwicklung ein wenig „imageverändernd“ wirke, so Röding, „das können wir durchaus auch gebrauchen“.

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