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Berlin: Planlos glücklich

Die Riepelsieps sind seit 15 Jahren ein Paar. Jetzt war Hochzeit auf der Messe

Zwei Takte, ein Schritt, zwei Takte, ein Schritt. Der Hochzeitsmarsch scheppert ein bisschen, das Paar lächelt strahlend. Hunderte Zuschauer murmeln und knipsen ungeniert. Sie sind ja schließlich nicht in einer Kirche. Dies ist die Blumenhalle der Grünen Woche, eine Messehalle von ein paar tausend Quadratmetern, und die Menschen sind hergekommen, um was zu erleben, am Samstag. Sandy Höck, 29, und Achim Riepelsiep, 30, Braut und Bräutigam, sind Teil des Programms. Es ist ein langer Gang durch die Halle bis zur Standesbeamtin auf einer Empore. Was ist das für ein Paar, das auf einer Messe heiratet?

Zwei Tage vorher in Lankwitz. Eine Wohnung im ersten Stock eines grauen Blocks. Blitzsauberes Laminat auf dem Boden, bei Höck, Zahnarzthelferin, und Riepelsiep, Kfz-Lackierer, werden die Schuhe vor der Tür ausgezogen. Im Flur liegt ein Fußabtreter mit dem Gesicht eines Pharaos, ums Regal rankt sich eine Lichterkette aus Plastik-Sonnen, und an die Glastür zum Wohnzimmer hat jemand Aufkleber gepappt. Sandra Höck hat Ringe um die Augen. Nur drei Wochen ist es her, als sie in einer Zeitung las, dass auf der Grünen Woche Paare heiraten dürfen. Spontan hat sie sich beworben, eigentlich wollten sie und Achim ja erst „irgendwann mal“ heiraten. Vor zehn Tagen kam die Zusage – und seitdem schläft Sandy nicht mehr viel vor Aufregung. Wieder einmal hat das Leben sie überfallen, rausgerissen aus der Routine und weitergeschubst. Dabei müsste sie schon dran gewöhnt sein. So geht es den beiden doch immer.

Vor 15 Jahren haben Sandy und Achim sich auf der Eisbahn in Lankwitz kennen gelernt. Er war 15, sie 14. Achim rempelte und entschuldigte sich. Ein paar Tage später traf er Sandy in der Stammdisco wieder, im Pop Inn. Und eigentlich, ohne großes Getöse, war da schon alles klar. Sie bleiben einfach beieinander, jeden Tag. Winters waren sie auf der Eisbahn, sommers im Schwimmbad daneben. Wenn Achim Sandy abends zur Haltestelle brachte, damit sie den 187er nach Schöneberg erwischte, dann ließen sie einen Bus nach dem anderen fahren, um zu knutschen. Morgens winkten sie sich zu, wenn ihre Schulbusse sich kreuzten. Trennungen auf Zeit hat es nie gegeben, sagt Achim Riepelsiep. Er hat sich neben Sandy aufs Sofa gesetzt und legt ihr ab und zu die Hand aufs Knie.

Wer Sandy und Achim nach einem Konzept fragt für ihr Zusammensein, der erfährt, dass es keins gibt. Oder doch. Vielleicht, dass beide nie Pläne gemacht haben. Sie waren immer zufrieden mit sich. Beide sind sie nicht verkopft. Sie diskutieren nicht über die Rollenverteilung im modernen Haushalt. Sie leben sie so, wie es halt bequem ist. Sie ist da, wenn er nach Hause kommt. Und er nimmt sie immer in Schutz, egal wogegen. Sie diskutieren auch nicht, ob Routine die Liebe killt. Sie genießen das eingespielte Dasein, haben sich ein festes, kleines Netz geschaffen in der großen Stadt: Die besten Freunde, Dirk und Nicole, ebenfalls ein Dauerpaar, kennen sie seit fast 20 Jahren, jeden Samstag um halb neun geht Sandy mit ihrer Mutter einkaufen, und das Wochenende bleibt ihnen vorbehalten. „Wir wissen zu jeder Tageszeit, was der andere macht“, sagt Sandy. „Das ist schön“, sagt Achim.

Wenn das Leben nicht manchmal ein paar Haken geschlagen hätte, es hätte sich wohl nicht viel getan im gemeinsamen Leben. Einen Haken hat es vor ein paar Jahren geschlagen, als Sandy, damals 23, plötzlich schwanger wurde. Jetzt hat Tochter Michele schon eigene Schlitschuhe. Eine zweite plötzliche Richtungsänderung war die vor zehn Tagen. Jetzt heiraten die beiden. Die Sicherheit zusammenzubleiben, hatten sie vorher schon.

Sandy und Achim Riepelsiep werden auch weiterhin ganz gelassen das Leben leben, das das Leben ihnen eben beschert. Sie werden weiter eislaufen gehen. Und vielleicht werden sie im Süden alt, irgendwo, wo die Sonne scheint, das wär schön. Nichts Exotisches. Es müssen ja nicht immer 30 Grad sein.

C.-F. Röhrs

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