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Berlin: Planst du noch oder wohnst du schon?

Vom Großprojekt zur Stadterneuerung: Die Berliner Architekturszene entdeckt die Liebe zum Detail

Eine Großstadt, die diese Bezeichnung verdient, ist nie fertig – erst recht nicht Berlin. Doch in den 18 Jahren nach dem Mauerfall, der den urbanen Grundriss völlig neu definierte, hat sich rasant viel getan – auf dem Weg zu einer urbanen Silhouette, deren öffentliche Kultur-, Repräsentations- und Nutzbauten der neu belebten Hauptstadtfunktion ebenso angemessen sind, wie sie dem metropolitanen Selbstbegriff ihrer Bewohner entsprechen.

Die neue repräsentative Mittelachse aus Politik und Kultur, die sich von den Bundestagsbauten im Westen bis zur Museumsinsel im Osten zieht, ist fertiggebaut oder zumindest auf dem Reißbrett und Computer fertiggedacht – man denke nur an die Silhouette des Kanzleramts von Axel Schultes oder die von Norman Foster entworfene Reichstagskuppel, die als architektonische Identifikationsikonen längst für einen kraftvollen, aber angenehm zivilen nationalen Selbstbegriff stehen. Einzig auf dem Schlossplatz, wo derzeit der Palast der Republik abgerissen wird, wartet noch eine große öffentliche Bauaufgabe: Nach der umstrittenen Entscheidung, das Berliner Schloss nun doch mit den historischen Fassaden wiedererstehen zu lassen, wird noch in diesem Herbst ein Architekturwettbewerb zur Baugestaltung ausgelobt; der 480 Millionen Euro teure Bau selbst soll bis 2012 fertig sein.

Auch die kommerzielle Mitte Berlins hat sich neu erfunden: Der Potsdamer Platz nach einem Generalplan von Hilmer & Sattler setzte die ästhetische Inititalzündung für eine Piazza, auf der die sonst in ihren sozialen und auch ideologischen Kiezen verharrenden Bürger sich begegnen; die Friedrichstraße, der zweite neu entstandene kommerzielle Dauerbrennpunkt der Stadt, bietet mit ihren durchaus monumentalen Lückenschließungen die klassische Modernisierungsvariante zum Potsdamer Platz.

Die beiden gewaltigen neuen Verkehrsbauten sind spät auf den Weg gekommen. Der von Meinhard von Gerkan entworfene Hauptbahnhof im Spreebogen wurde rechtzeitig zur WM 2006 fertig – wenn auch mit Schönheitsfehlern. Der Kleinstreit vor Gericht, den der Architekt seitdem mit Bahnchef Mehdorn über abgehängte Gewölbedecken und verkürzte Glasdächer führte (und im ersten Fall gewann), steht nicht zuletzt für ein neues, juristisch unterfüttertes Selbstverständnis von Architekten gegenüber ihren Bauherren. Das zweite Mammutvorhaben ist nach langem juristischen Hickhack auf den Weg gebracht: Am 5. September 2006 erfolgte der erste Spatenstich, bis 2011 soll der Großflughafen Schönefeld samt Landebahn stehen.

Nun aber folgt dem euphorischen Aufbruch der neunziger Jahre, der auch von Hans Stimmanns rigidem „Planwerk Innenstadt“ mit seinen vorgegebenen Traufhöhen und steinernen Fassaden geprägt war, eine etwas leisere Phase des kontinuierlichen Stadtumbaus. Denn auf neue Weise komplett ist die Stadt nur auf den ersten Blick: Selbst im Zentrum gibt es noch Brachen, die sich erst langsam füllen, etwa das ehemalige Wertheim- Areal entlang der Leipziger Straße.

Doch daneben entdeckt Berlin viele Potenziale neu. Zu ihnen zählen die faszinierenden Wassergrundstücke rund um den Osthafen, für den es derzeit zahlreiche Entwürfe gibt. Die neue Senatsbaudirektorin Regula Lüscher schwärmt: „Im Vergleich zu anderen Metropolen dieser Größe hat die Stadt enorm viel Lebensqualität. Das zeigt sich bei den Wasserlagen wie bei den zahlreichen Freiräumen. Berlin ist die Wohnstadt der Zukunft.“

Der Trend zurück zum Wohnen in der Innenstadt hat auch Berlin ergriffen. Dabei zeigen die viel diskutierten Stadthäuser auf dem Friedrichswerder oder am Friedrichshain nur eine Möglichkeit, um künftig wieder Bewohner mit Kindern zurück in die Innenstadt zu locken. Inzwischen entstehen auch neue Wohnmodelle: Baugruppen, also Bauherrengemeinschaften, die zusammen mit einem Architekten in Eigeninitative ihre persönlichen Vorstellungen vom Wohnen in der Stadt verwirklichen.

An neuen Projekten mangelt es jedenfalls nicht. Das sollte sich auch für die jungen Berliner Architekten auszahlen, von denen etliche sehnsüchtig darauf warten, in der eigenen Stadt zu bauen. Schließlich feiern sie andernorts längst Erfolge. Architekturstars wie das Büro Graft, das mit einem Wohnungsentwurf für den Filmstar Brad Pitt in Los Angeles berühmt wurde, locken inzwischen so viele Besucher zu ihren Ausstellungseröffnungen, wie sonst zu Popkonzerten strömen. Als neues Projekt haben sie für den Berliner Schlossplatz eine luftige Wolke als Übergangs-Kunsthalle entworfen. Auch Büros wie magma architecture oder raumlabor-berlin stehen für einen fantasievolleren, auch flexibleren Umgang mit Baukörpern und Stadtsituationen, während Architekten wie Wolfram Popp und Jörg Ebers mit ihren Wohnhäusern in der Choriner Straße und der Auguststaße die Beschränkung auf kleinstem Raum zur Kunstform erhoben: das Zauberwort heißt „Bauen im Bestand“.

Angesichts solcher Potenziale dürfte Berlin jenen architektonischen „Humus für Baukultur“ schaffen, den Regula Lüscher anmahnt und von dem die Stadt profitiert. Denn auch die Architekturwelt blickt auf Berlin.

Christina Tilmann

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