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Berlin: Plastiksäcke und Trommelwirbel

Was es am Rande des Laufs zu erleben gab

Julio Alvarez aus Guatemala startete als Exot und lief als Star durchs Ziel: 2:29:20 – das ist Platz 30 und eine sensationelle Marathon-Premiere für den 27-Jährigen. Die Botschaft seines Landes hatte ihn eingeladen, damit endlich auch mal ein Guatemalteke am Lauf in Berlin teilnimmt.

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Morgens kurz vor zehn Uhr am Beisheim-Center: Ein Maserati, ein Porsche und ein großer BMW stecken in der Menschenmenge fest. In allen sitzen genervte Väter am Steuer – und stolze Kinder mit Startnummern vom gerade beendeten Mini-Marathon auf den Rücksitzen.

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Regionalbahnhof Potsdamer Platz: Wo sonst kaum ein Mensch ist, schieben sich Tausende von Touristen durch den Tunnel. Kein Wunder – es wäre hoffnungslos, zwischen 40 000 Läufern die Straße vor dem Sony-Center überqueren zu wollen.

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Was für ein Marathon-Team: Der junge Mann im Rollstuhl trägt die Starternummer, der dahinter schiebt. Bewegend.

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Eine Zuschauerin an der Mauerstraße hat Vollkornkekse dabei. Für ihren Vater, der läuft? „Nee, für mich. Mein Vater kriegt ja genug entlang der Strecke.“

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Peter Sehnal, 47, scheitert nach 15 Kilometern an einer ramponierten Sehne. Ab Kottbusser Tor muss er mit der Bahn weiterfahren. Ginge es beim Marathon um die ausgefallensten Berufe der Läufer, hätte er zumindest hier große Gewinnchancen: Sehnal ist „Herr der Fliegen“. Er leitet die Fliegensammlung im Naturhistorischen Museum Wien. Es war sein dritter Berlin-Marathon. Und bestimmt nicht sein letzter, wie er sagt.

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Ein Teilnehmer wird nach dem Rennen auf der Terrasse des Adlon von seinen Verwandten begrüßt. Der Läufer trägt einen gelben Plastiksack gegen Auskühlung. Am Marathon-Sonntag akzeptiert das Luxushotel auch Plastiksäcke.

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Beim Bäcker in der Friedrich- / Ecke Leipziger Straße: Trotz Sonnenschein bittet die Verkäuferin, die Tür ordentlich zu schließen. Warum? „Dit Getrommel nervt.“ – „Aber die Stimmung an der Strecke ist doch super!“ – „Aber nicht, wenn man die Strecke nicht sehen kann!“

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Unter der Brücke am Innsbrucker Platz, als Mitglied der Power-PercussionGruppe vom Kreuzberger Trommelcenter Groove dabei. Drei Stunden trommeln vergehen wie eine einzige. Und wie das hallt: wuh, hey, wuh, hey! Läufer strahlen, klatschen, bedanken sich. Manche bleiben stehen, tanzen mit. Ein verkleideter Läufer geht gar zu Boden und betet zum Dank wie ein Muslim gen Mekka. Wir grüßen mit Trommelwirbel zurück.

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Kurz vor 16 Uhr am Schloßplatz: Ein paar Läufer sind hinter den Besenwagen geraten. Einer von ihnen: Michele Polini aus Mailand. Mit Tempo 6 trabt er dem Ziel entgegen, Sammelbus voraus, Kehrmaschine im Nacken. Die ersten Privatautos rasen an ihm vorbei. Zeit aufzugeben? „Nein! Ist doch egal, ob man Erster oder Letzter wird. Teilnahme entscheidet!“ Ha, kög, obs, sve, teu

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