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Berlin: Platten-Abbau

In Marzahn werden vom nächsten Monat an ganze Hochhausblöcke abgetragen – bis auf die unteren drei, vier Etagen. Diese Wohnungen werden modernisiert

Ungeübten Passanten scheint die Marzahner Havemannstraße voller Irrwege, die Suche nach Adressen fast aussichtslos. Eine Plattenbau-Landschaft mit elfstöckigen Hochhäusern, die sich fast zum Verwechseln ähneln. Die Aufgänge 3/5 wirken besonders vergammelt und verkrautet, kein Mensch wohnt mehr hier. Dabei waren die Häuser erst kurz vor der Wende bezugsfertig geworden. Schon im November sollen sie abgerissen werden – fast: In der dritten Etage des einen, in der vierten des anderen machen die Abbruchkolonnen halt. Die Wohnungen werden als Modellprojekt modernisiert und später nicht mehr wiederzuerkennen sein.

Ein Bestand von rund 1500 unsanierten, kaum vermietbaren Plattenbauwohnungen soll in den nächsten zwei Jahren zu fast 500 attraktiven Domizilen mit Mietergärten schrumpfen. So haben es die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn und die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vereinbart. Die Havemannstraße macht den Anfang, weitere Straßen in den Blocks der Umgebung werden folgen, wenn auch die letzten Mieter Ersatzwohnungen erhalten haben. Wolf Schulgen aus der Senatsverwaltung spricht von einem „behutsamen Prozess“. Man habe sehr lange über den Totalabriss mehrerer Häuser diskutiert, aber die entstandene große Freifläche wäre der Gegend nicht bekommen. So aber schaffe man die gefragten größeren Zwei- bis Dreizimmerwohnungen und habe die Chance, Mieter in der Gegend zu halten. Das Projekt, noch mit den letzten Mitteln der Plattenbau-Modernisierung finanziert, habe eine städtebauliche Dimension, die sich andernorts kaum noch verwirklichen lasse. Stadtentwicklungssenator Peter Strieder rechnet längerfristig mit den Abriss von 5000 unsanierten Plattenbauwohnungen. Der Abriss soll aber in erster Linie auf einzelne Häuser beschränkt sein.

Hier aber wird eine Gegend umgewandelt, wenn im nächsten Jahr noch Häuser der benachbarten Niemegker, Oberweißbacher, Eichorster, Karl-Holtz- und Rosenbecker Straße zum Teil im Staub versinken. Schätzungsweise rund 30 Millionen Euro zahlen der Bund, das Land und die zur städtischen DeGeWo gehörende Wohnungsbaugesellschaft (WBG) für Abriss und Umbau. Der Abriss und „Teilrückbau“ sei erforderlich, „weil eine Sanierung wegen fehlender Nachfrage nicht mehr in Betracht kam“, teilt Birgit Hoplitschek für die Wohnungsgesellschaft mit. Die Leerstandsquote betrug über 30 Prozent,

Viele der Wohnungen vom Plattenbautyp „WBS 70“, die jetzt abgerissen werden, waren nur drei, vier Jahre bewohnt. Birgit Hoplitschek erinnert sich, dass die Wohnungen noch 1990, kurz nach der Fertigstellung, begehrt waren,, „da stand man zum Teil Schlange“. Schon 1994 begann sich die Vermietungslage wegen der Neubauten im Umland dramatisch zu verschlechtern. Die Mieter zogen aus, weil ihnen die Platte zu eng wurde. Das Kinderzimmer im „WBS 70“ misst etwa nur ganze zehn Quadratmeter.

Noch stehen rund 12000 Wohnungen in Marzahn-Hellersdorf leer, vor allem in unsanierten Gebäuden. In diesem Gebiet waren etwa 100000 Plattenbauwohnungen errichtet worden. Zu den Leerstandshochburgen zählt der Nordosten Marzahns. Hier wagte die Wohnungsbaugesellschaft Anfang des Jahres auch den ersten Abriss: An der Marchwitzastraße 1-3 wurde ein 23-stöckiges Doppelhochhaus abgerissen.

Von insgesamt 273000 Plattenbauwohnungen in Berlin sind derzeit noch 40000 unsaniert. Der Deutsche Werkbund und die IHK warnten mehrmals davor, die „Platte“ zu verteufeln. Die Gesellschaft Stadt und Land hat die „Hellersdorfer Platte“ sogar als Lockmittel entdeckt. Lehrlinge und Studenten können hier für 50 Euro während der Ausbildung wohnen. Rund 250 Verträge wurden binnen eines Jahres abgeschlossen.

Christian van Lessen

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