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Platz da!: Folge 2: Petriplatz

Das getilgte Zentrum: Hier liegt ein Ursprung der einstigen Doppelstadt. Doch der Petriplatz verschwand aus dem Stadtbild. Zwei Neubauten sollen das nun ändern – und dem Platz wieder ein Gesicht geben.

Platz ist da, mehr als genug. So wie es auf Stadtbrachen üblich ist. Nur, dass die Leere hier wirklich erschreckend wirkt – Ausgerechnet diese Ödnis soll die Wiege Berlins gewesen sein? Davon ist am Petriplatz nichts zu zu sehen. Die einzige Spur liegt unter einem Blechdach verborgen, dicht über dem Erdboden, versteckt hinter Zäunen. Das Provisorium schützt die freigelegten Grundmauern der Lateinschule, die zu den ältesten Spuren der historischen Stadt zählen. Die Petrikirche stand daneben – Gras wächst drüber. Trotzdem mag hier niemand verweilen. Weil man das eigene Wort kaum versteht, so laut tost der Verkehr an der sechsspurigen Getraudenstraße.

Der Petriplatz ist schon lange kein Platz mehr, und seit das Bauministerium der DDR abgerissen ist, klafft eine Lücke auch an der nördlichen Platzkante. Um den Plattenbau ist es nicht schade, zumal die Zerstörung des Petriplatzes viel früher begann: 1960 mit dem Abriss der Petrikirche und dem autogerechten Ausbau der Gertraudenstraße. Dadurch wurde die Straße breiter und verlor den sanften Bogen, in dem sie den Petriplatz zuvor umkurvte. Dieser verlor dadurch auch seine historische tropfenförmige Gestalt.

Die Gertraudenstraße ist eine Schneise, die keine Rücksicht nimmt auf den Petriplatz. So wenig wie die austauschbare Investorenarchitektur an dessen südlichem Rand. Ein Gefühl dafür, dass hier Berlins Geschichte begann, kommt nicht auf. Dabei gruben die Archäologen am Petriplatz den bisher ältesten von einem Berliner gezimmerten Balken aus. Dessen Datierung um 1212 fügte ganz beiläufig der 775-jährigen Geschichte der Stadt ein paar Jahrzehnte hinzu – gefeiert wird das eigentlich korrekturbedürftige Jubiläum dennoch in diesem Jahr.

Wenig ist bisher von Berlins früher Geschichte bekannt. Doch sicher ist, der Petriplatz auf der Spreeinsel war zusammen mit dem „Markt“ jenseits der Mühlenbrücke im Nikolaiviertel eines der zwei Zentren der Doppelstadt Cölln-Berlin. Geschäftig war die Stadt hier, und dicht bebaute Häuserzeilen entstanden an den beiden wichtigsten Achsen der Spreeinsel: der Breiten Straße, die vom Petriplatz zum Schloss führte und der parallel verlaufenden Brüderstraße.

Wie klein die Parzellen in diesem historischen Stadtkern waren, lässt sich noch anhand des Galgenhauses an der Brüderstraße erahnen. Dass dieser Maßstab verloren ist für die Entwicklung der Stadt, zeigen die Pläne für die Neubauten im Umfeld des Petriplatzes. Zwar erklärt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, dass der „Petriplatz in seiner historischen Kontur als Stadtplatz wieder entstehen“ soll. Doch die Blöcke an der Breiten Straße werden sich eher an den umgebenden Nachwendebauten orientieren. Immerhin ist es der erklärte Wille vor Rot-Schwarz, dass „in den geplanten Neubauten an den Schmalseiten des Platzes die archäologisch erkundeten Grundmauern von Alt-Cölln in die Gestaltung einbezogen und zugänglich gemacht werden“.

Fast drei Viertel des historischen Berlin liegen noch unter dem Pflaster

Auch wenn der Maßstab verfehlt wird, die Zukunft des Petriplatzes wird im Geiste der Historie Gestalt annehmen: Auf den freigelegten Grundmauern der früheren Lateinschule entsteht nach langem Tauziehen das Archäologische Zentrum. Die Stadtplaner im Abgeordnetenhaus haben die Gelder zur Vorbereitung des Wettbewerbs freigegeben. Falls sie nicht noch von Senatschef Klaus Wowereit (SPD) gestoppt werden, könnte dieses museale Zentrum zum Touristenmagneten auf dem Petriplatz werden. Landesarchäologe Matthias Wemhoff zieht mit seinen Mitarbeitern dort ein und richtet eine „Schaustelle“ für die Ausgrabungen in Berlin ein.

Mit vielen Überraschungen ist zu rechnen. Denn fast drei Viertel des historischen Berlin liegen noch unter dem Pflaster unbebauter Flächen. Mit der Umgestaltung des alten Zentrums – am Jüdenhof, im Marienviertel, am Schloss und am Molkenmarkt – wird die Geschichte stückweise freigelegt. Im Archäologischen Zentrum, das aus den ausgegrabenen Fundamenten der Lateinschule emporwachsen wird, werden diese Funde gereinigt, datiert und ausgestellt – live, unter den Augen der Besucher.

Schon etwas weiter sind die Planer bei der Entwicklung der neben dem Zentrum gelegenen Brache. Der Verein „Bet- und Lehrhaus Petriplatz Berlin“ hat bereits einen weltweiten architektonischen Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Geplant ist ein „Sakralgebäude des 21. Jahrhunderts“. Es soll „die Vision der drei Religionen vom gebauten Himmel inmitten von Berlin“ Wirklichkeit werden lassen, also ein gemeinsames Haus für Juden, Muslime und Christen. Die Initiative für den „interreligiösen Raum“ auf den Grundmauern der Petrikirche geht von den Religionsgemeinschaften selbst aus. Die Jüdische Gemeinde Berlin, das Forum für Interkulturellen Dialog, die Evangelische Kirchengemeinde St. Petri–St. Marien und das Land Berlin tragen das Projekt gemeinsam.

Beide Neubauten machen die freigelegten Grundmauern und Spuren der mittelalterlichen Gebäude sichtbar und teilweise begehbar. Und archäologische Fenster werden am Schlossplatz und am U-Bahnhof Berliner Rathaus einen Blick auf die Mauern der historischen, unter der Erde liegenden Bauwerke erlauben.

So könnte von einer der beiden Geburtstätten Berlins, nämlich vom Petriplatz aus, ein neues Bewusstsein für die frühe Stadtgeschichte entstehen – und eine neue historische Schicht Berlins erschlossen werden.

Die nächste Folge erscheint am Donnerstag, 26. April. Dann geht es um einen Platz im Herzen einer ständig wachsenden Einkaufsmeile: den Hermann-Ehlers-Platz in Steglitz. Was könnte dem Wochenmarkt mehr Geltung verschaffen und das Areal zum echten Aufenthaltsort machen?

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