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Kreisverkehr am Moritzplatz in Kreuzberg.

© Kai-Uwe Heinrich

Platz da!: Folge 8: Moritzplatz

Der Moritzplatz war das öde Ende von Kreuzberg. Heute wirkt er verkehrsbelebt, aber unfertig. Das Aufbau-Haus brachte einen neuen Impuls. Doch was passiert mit den übrigen Kanten?

Plätze können Geborgenheit vermitteln oder das Gefühl, im Mittelpunkt von etwas Großartigem zu stehen. Der Moritzplatz entzieht sich diesen tradierten Gefühlsmustern. Er wirkt nicht mehr kalt und unbehaust wie noch vor wenigen Jahren, aber auch nicht fertig und schon gar nicht geschlossen. Nordöstlich ist die alte Platzgeometrie mit ihren geraden Kanten, die sich zum Quadrat fügen, noch erkennbar. Südöstlich steht seit acht Monaten das viel gepriesene Aufbau-Haus als Pionierprojekt zur Reurbanisierung eines kriegs- und mauerzerstörten Areals. Die übrigen Platzkanten sind bislang bloße Schwellen ins Stadtgrün. Auf der einen Seite eine weithin unbekannte, unscheinbare Grünfläche, auf der anderen die „Prinzessinnengärten“, ein soziales Projekt zur Hebung der Stadtagrikultur, mit lokaler und großer internationaler Resonanz, ein Teil des alternativ-kreativen Berlinbooms.

Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) ist, wie stets, bemüht, Stadtplanungsprozesse von unten anzuschieben, bevor dann (zwangsläufig) das Oben in Gestalt eines Investors hinzutritt. Sensibel ist besonders die Freifläche, auf der die Stadtgärtner ihr Gemüse ziehen. Vor dem Krieg stand an dieser Stelle ein Wertheim-Kaufhaus, das dem geschäftigen Viertel seinen Stempel aufdrückte. Supermärkte hätten sich schon für das Gelände interessiert, sagt Schulz, aber für eine „schnöde Bebauung“ möchte er dieses Kleinod nicht hergeben. Ein polnisches Handelszentrum war in der Planung schon weit fortgeschritten, bevor die Finanzierung scheiterte. Der Liegenschaftsfonds verwaltet das Grundstück, hält sich mit Aussagen über eine Vermarktung aber sehr zurück.

Video: Der Moritzplatz

Schulz möchte einen Ideengenerator in Gang setzen, der von den Vorstellungen der Anwohner und der Kreativen aus der Nachbarschaft gespeist wird. Ein ergebnisoffener Prozess, an dessen Ende auch stehen könnte, das Wertheim-Grundstück so unbebaut zu belassen, wie es ist. Da dürfte der Finanzsenator als Sachwalter des Landesvermögens allerdings kaum mitspielen.

Andreas Krüger ist Geschäftsführer von Modulor-Projekt, einem Ableger des Künstler- und Bastlerbedarf-Händlers Modulor, der ins Aufbau-Haus gezogen ist, zusammen mit dem Aufbau-Verlag, einer Buchhandlung und kleineren Gewerbetreibenden. Krüger hat den „Beteiligungsprozess“, den Schulz initiieren möchte, schon einmal durchlaufen. Bevor aus der leer stehenden Bechstein-Klavierfabrik das Aufbau-Haus werden konnte, ging Krüger monatelang durch die Straßen und quatschte mit den Leuten, vom Tankstellenpächter bis zum Dönerwirt. „Ich wollte sondieren, was es in dieser verlassenen, verkarsteten Gegend braucht.“ Das Ergebnis: Es braucht Leute mit Energie, die etwas unternehmen und andere mitreißen. In den Hochhäusern wohnen Menschen, die wenig Geld, aber viel Zeit zur Verfügung haben.

„Es gibt hier eine dörfliche Struktur mit viel Nachbarschaftshilfe“, sagt Krüger. Und mit verbreiteten Ängsten, durch das Hineindrängen von Investoren und Besserverdienern weggentrifiziert zu werden. Krügers Modulor-Projekt will diesen klassischen Gegensatz zwischen Verlierern und Gewinnern der Aufwertung eines Kiezes mit „niedrigschwelligen“ Angeboten aufheben. So gibt es die Prinzessinnengärten zum Selberackern, aber auch das „Nähinstitut Linkle“, in dem man stundenweise einen Arbeitsplatz mieten oder an einem Workshop zum Anfertigen eines „Vintage Bikinis“ teilnehmen kann. Die Modulor-Gemeinde ist international mit der sogenannten „Maker-Community“ vernetzt, eine moderne Do-it-yourself-Bewegung.

Die Politik hat keinen "Moritzplatz-Masterplan"

Krüger versteht sich als „Diplomat des Moritzplatzes“. Er würde nie über die Köpfe seiner Nachbarn hinweg entscheiden, versichert er. Das Aufbau-Haus inklusive Modulor arbeite inzwischen viel erfolgreicher, als ursprünglich erwartet. Das Projekt habe eine Sogwirkung entfaltet, auch in den wissenschaftlichen Stadtplanungsdiskurs hinein. „Derzeit forschen 16 Universitäten zum Moritzplatz“, sagt Krüger. Die entscheidende Frage: Wie konnte es in kurzer Zeit gelingen, einen toten Ort wiederzubeleben?

In den achtziger Jahren, erzählt Prinzessinnengärtner Marco Clausen, habe Walter Momper, Kreuzberger und SPD-Politiker, mal zwei Linden auf dem Wertheimgelände gepflanzt, um Aufmerksamkeit auf die Brache zu lenken. Auch die Internationale Bauausstellung (IBA) habe sich damals Gedanken über den Platz gemacht, aber realisiert wurde bis zur Wende nichts. Und danach schauten die Stadtplaner in den Ostteil der Stadt.

„Ein Vorteil ist, dass die Politik keinen Masterplan für den Moritzplatz hat“, sagt Krüger. Früher, in den sechziger Jahren, gab es noch einen: Der Moritzplatz sollte den Autobahnvisionen weichen. Deshalb rückten die Hochhäuser der „Otto-Suhr-Siedlung“ der GSW von der Straßenkante ins Hinterland und öffneten den Raum für eine Grünfläche, die Bürgermeister Schulz unbedingt erhalten will. Die Vorstellung, den Moritzplatz zu heilen, wieder in ein intaktes Karree zurückzuversetzen, widerspreche der „Heterogenität“ des Ortes als Folge seiner historischen Entwicklung. Liebhaber historischer Stadtstrukturen wird dieses Argument kaum über den Verlust der Platzkanten hinwegtrösten.

Das „Motel One“ an der Prinzenstraße, das Café Zera im Hochhaus gegenüber, die Bar im Aufbau-Haus – erste gesellschaftliche Treffpunkte sind etabliert. Der Wirt der Eckkneipe „Zum kleinen Mohr“ bewirtet inzwischen Touristen, hält das Aufbau-Haus trotzdem für einen „potthässlichen Klotz“ und die Prinzessinnengärten für „Quatsch“. Er sagt: Da sollte etwas entstehen, „das nach was aussieht“.

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