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So viele Kandidaten - und so wenige Stimmen. Am 18. September müssen sich die Berliner entscheiden, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen

© dpa

Politik für den Augenblick: Die Wahlplakate im Tagesspiegel-Test

2,90 auf 3,70 Meter – so groß ist die Hoffnung. Was sich die Parteien bei ihren Plakaten gedacht haben, wie Experten das Ergebnis der Mühen bewerten - und die Frage an Sie, liebe Leser: Können Sie es besser?

Die Mittelstreifen der Straßen stehen voll mit Sperrholzplatten, auf denen sich die Parteien ins beste Licht rücken wollen. Wie das geht, dazu gibt es in etwa so viele Meinungen wie Parteien. Provozieren oder lieber schöne Bilder zeigen, Kandidaten präsentieren oder ambitionierte Ziele formulieren, kurz: Wie plakativ soll das Plakat sein?

Untersuchungen der Werbeforschung zeigen: Wer verstanden werden will, muss sich beschränken, denn die durchschnittliche Betrachtungsdauer von großformatiger Außenwerbung liegt bei maximal zwei Sekunden. Während die SPD aufs Gefühlige setzt, und hofft, sofort verstanden zu werden, muten CDU und FDP den Betrachtern viel Text zu – und hoffen, dass ihre Botschaften über die Masse der Plakate den Wähler erreichen.

Der Tagesspiegel wollte wissen, ob’s funktioniert – und hat von jeder der großen Parteien und einer kleinen jeweils ein Kampagnenmotiv ausgewählt. Von den Machern haben wir uns erklären lassen, was sie uns damit sagen wollten. Anschließend haben wir Experten aus den Bereichen Werbepsychologie, Politikwissenschaft und Satire gefragt, ob und wie die Botschaft bei ihnen angekommen ist.

"Wenn sich die Wahlprogramme immer auffälliger gleichen, rücken die Kandidaten immer stärker in den Mittelpunkt. Die Frage lautet dann: Macht der Politiker auf dem Foto den Eindruck, dass er die Probleme lösen kann", sagt der Werbepsychologe Alexander Schimansky. Trotz der oft schlichten und stark verknappten Botschaften hält die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele Wahlplakate für ein unterschätztes Medium. Sie beeinflussten die Passanten unterbewusst, setzten Diskussionen in Gang und beeinflussten die mediale Agenda. Und der Karikaturist Klaus Stuttmann empfindet den Wahlkampf als sehr inspirierend: "Witz, Humor und beißender Sarkasmus sind in diesem Jahr bestimmend."

Sehen Sie auf Seite 2 ein Plakat der SPD - und warum Klaus Stuttmann hier Cartoon-Humor erkennt.

Sie können es besser? Schicken Sie uns Ihre Entwürfe oder Fotomontagen von Wahlplakaten an leserbilder@tagesspiegel.de

Schnappschuss mit Schnappi: Die SPD setzt auf Emotionen - die Botschaft bleibt dabei verborgen wie das Gesicht des Spitzenkandidaten.
Schnappschuss mit Schnappi: Die SPD setzt auf Emotionen - die Botschaft bleibt dabei verborgen wie das Gesicht des Spitzenkandidaten.

© Kai-Uwe Heinrich

Wo soll's denn hingehen mit der FDP? Das fragt die Partei den Wähler.
Wo soll's denn hingehen mit der FDP? Das fragt die Partei den Wähler.

© Thilo Rückeis

Der Anspruch

„Man braucht keine metergroßen Buchstaben, um Inhalte zu vermitteln. Wir haben Wowereit auf Termine begleitet und spontan fotografiert. Dieses Bild ist in einer Kita entstanden. Gestellt ist es nicht, hätte sich auch niemand getraut zu sagen: Halt dem Mann mal dein Krokodil ins Gesicht“, sagt Frank Stauss, Kreativgeschäftsführer der Agentur „Butter“.

Die Wirkung

Werbepsychologe Alexander Schimansky: „Die Motividee ist gut, denn Wowereit wird weniger als familienfreundlicher Mensch wahrgenommen. In der Umsetzung gibt es aber ein Problem: Es wirkt, als habe der Regierende versucht, den Kindern zuzuhören. Doch statt Spielen gibt es einen Anschlag auf seine Nase, wie ihn sonst das Kasperle erlebt. Besser wäre ein Miteinander gewesen, in dem Wowereit auch mit einer Handpuppe interagiert.“

Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: „Es ist unklar, was dieses Plakat aussagen will. Nur der SPD-Spitzenkandidat scheint Berlin zu verstehen. Abgesehen von dessen Präsentation bleibt das Plakat unspezifisch.“

Karikaturist Klaus Stuttmann: „Es heißt ja oft, Karikaturen ganz ohne Worte seien die besten. So auch hier beim SPD-Plakat. Anstatt irgendwas störend Programmatisches zu formulieren, wird in wunderbar banaler Art gar nichts gesagt, der Betrachter lacht sich halb tot über das zähnefletschende Monster in Wowis Gesicht, jeder kann witzig-philosophisch hineininterpretieren, was er will. Cartoon-Humor, schwarz-weiß und nichtssagend.“

Sehen sie auf Seite 3 ein Plakat der FDP - und wer hier eine alte Hartz IV-Debatte wiedererkennt.

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Nichtwähler fischen: Die Piraten wollen sagen, wie es ist.
Nichtwähler fischen: Die Piraten wollen sagen, wie es ist.

© Thilo Rückeis

Frank Henkel sieht Rot-Rot - und blickt dazu freundlich drein. Die Botschaft dazu gibt's am Kiosk.
Frank Henkel sieht Rot-Rot - und blickt dazu freundlich drein. Die Botschaft dazu gibt's am Kiosk.

© Kai-Uwe Heinrich

Der Anspruch

„Bundespartei und FDP Berlin haben sich neu aufgestellt. Es ging darum, eine neue FDP darzustellen und aufzuräumen mit den alten Vorurteilen. Wir wollten zeigen: Wir nehmen die Zielgruppe ernst und stellen die Inhalte in den Vordergrund. Liberales Gedankengut soll nicht nur bei den Besserverdienenden ankommen, sondern bei allen, die nicht mit allen Bereichen staatlicher Verteilungspolitik einverstanden sind“, sagt Pieter Schnell, Geschäftsführer der Agentur „Etwas Neues entsteht“. Seit acht Jahren entwirft sie FDP-Kampagnen.

Die Wirkung

Werbepsychologe Alexander Schimansky: „Arbeiter- oder Besserverdienerpartei – was denn nun? Die Frage auf dem Plakat wirkt wie der Selbstzweifel einer Partei auf der Suche nach einer Positionierung. Das gehört eher auf einen Workshop der Parteistrategen. Hier sagt es: Wir basteln noch. Erstaunlich zurückhaltend ist auch die Antwort formuliert. Die wird die unternehmerische Macherklientel der FDP nachdrücklicher und fordernder erwarten. Genauer betrachtet macht die FDP wieder die alte Hartz-IV-Rechnung auf und bleibt damit Besserverdienerpartei. Wozu dann die Frage?“

Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: „Hier fehlt jede Visualisierung. Dadurch wird das Plakat beliebig. Es könnte auch in Bayern oder Mecklenburg-Vorpommern stehen. Das Berlinspezifische fehlt völlig. Außerdem wirkt es aus der Zeit gefallen: Ein Standardthema ohne Lösungsansatz.“

Karikaturist Klaus Stuttmann: „Man spürt die ungeheure Konzentration und Anstrengung der Plakatmacher, endlich mal total unverständliche Ironie und gewaltigen Wortwitz in den Wahlkampf einzubringen! Wow, wie das gelungen ist! Es haut einen echt vom Sockel! Und das mit den minimalsten ästhetischen Mitteln!“

Sehen Sie auf Seite 4 ein Plakat der Piraten - und ob die Partei damit ihr Publikum beschimpft.

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Bekannt und bewährt: Nicht nur bei der Farbe setzt die Linke auf Kontinuität.
Bekannt und bewährt: Nicht nur bei der Farbe setzt die Linke auf Kontinuität.

© Kai-Uwe Heinrich

Problem erkannt: Die Grünen wollen der S-Bahn aus der Rückenlage helfen.
Problem erkannt: Die Grünen wollen der S-Bahn aus der Rückenlage helfen.

© Kai-Uwe Heinrich

Der Anspruch

„In der Kampagne wollten wir uns von den anderen Parteien abgrenzen. Da sind zwar Köpfe auf den Plakaten und man sieht, die Piraten gibt es wirklich in der Stadt, aber sie sind schwarz-weiß und ohne Namen, weil im Vordergrund die Inhalte stehen sollen. Auf dem Plakat geht es uns nicht um Publikumsbeschimpfung, sondern darum zu sagen – ihr müsst den Kram selbst in die Hand nehmen, sonst wird das nichts“, sagt Fred Bordfeld, freier Grafiker und Visualist in Berlin und Piraten-Mitglied. Für eine Werbeagentur fehlt den Piraten nach eigenen Angaben das Geld.

Die Wirkung

Werbepsychologe Alexander Schimansky: „Die Piraten schöpfen aus dem großen Pool der Nichtwähler, die sich in der heutigen Politik nicht wiederfinden. Namenlose Kandidaten mit ihren kritischen Fragen nach dem Sinn des Ganzen kommen bei diesen Menschen an, die selbst das Leben hinterfragen und vielleicht auf der Suche nach wahren Zielen und Werten sind. Allerdings ist die Umsetzung auf dem Plakat zu platt: ,Warum häng’ ich hier eigentlich, wenn ihr nicht wählen geht?‘ Ja, schön blöd, mag manch einer denken. Und bleibt am Wahltag zu Hause.“

Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: „Ein Null-Themen-Plakat. Es nimmt keinen Bezug zur Piraten-Programmatik und macht einen hilflosen Eindruck. Das mag auch am geringeren finanziellen Spielraum kleiner Parteien bei Kampagnen liegen.“

Karikaturist Klaus Stuttmann: „Ein wenig zu dick aufgetragen, das Grüblerisch-Philosophische, Provokativ-Ironische. Humor, wo man trotzdem nicht lacht. Reicht bei Weitem nicht an das unermessliche satirische Potenzial der anderen Parteien heran. Nur das Bildmaterial ist von enormer innovativer Schlagkraft!“

Sehen Sie auf Seite 5 ein Plakat der CDU - und warum sich Werbepsychologe und Politikwissenschaftlerin hier überhaupt nicht einig sind.

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Der Anspruch

„Wir wollten hier drei Botschaften unterbringen: Die miserable Bilanz des Senats, lernen Sie Frank Henkel kennen und drittens: Frank Henkel hat Lösungen anzubieten. Das ist eine Botschaft mehr als in der Werbung üblich. Auf den ersten Blick ist das Plakat deshalb vielleicht nicht leicht zu erfassen. Aber durch die Masse an Plakaten bleibt es im Wahlkampf ja auch nicht bei einem Blick“, sagt Thomas Heilmann, Stellvertreter von Landesparteichef Frank Henkel. Er kommt aus der Werbebranche und war an der Kampagnenentwicklung der CDU beteiligt.

Die Wirkung

Werbepsychologe Alexander Schimansky:„Hier wurde inhaltlich und handwerklich viel falsch gemacht. Frank Henkel posiert wie ein freundliches Autorenkonterfei auf dem Rücken eines Buches über gesünderes Leben. Immerhin kann man ja seine 100 Ideen für Berlin „Jetzt am Kiosk“ bekommen. Was aber ist seine Botschaft an die Wähler? Kaufen Sie mein Buch – wählen brauchen Sie mich nicht? Denn: Wofür man ihn wählen soll, verrät er uns nicht. Zudem ist das Plakat zu überladen mit Hiobsbotschaften gegen Rot-Rot. Dafür blickt Henkel aber zu entspannt drein. Besser wäre ein energischer Gesichtsausdruck mit der Botschaft: Der packt’s an und räumt auf.“

Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: „Ein klares Herausfordererplakat, das logisch aufgebaut ist und alle Regeln der Kunst beachtet: Es gibt ein klares Thema, der politische Gegner wird angegriffen und die Person wird gezeigt, die das Problem lösen soll.“

Karikaturist Klaus Stuttmann: „Hier ist alles so voll- und zugetextet, dass Augen und Sinn ständig mal hierhin und mal dorthin schweifen können und man voller Vergnügen und ohne Erfolg nach der entscheidenden Pointe sucht. Einfach nur grandios schlecht!“

Sehen Sie auf Seite 6 ein Plakat der Linkspartei - und wer diese Idee für einen Bumerang hält, der der Partei schaden kann.

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Der Anspruch

„Es geht um Wildwestzustände auf dem Mietermarkt, nicht um Himmelsrichtungen. Ständig steigende Mieten sind ein Kernthema der Linken in Berlin. In der Kampagne haben wir auf diesen großen roten Punkt gesetzt. Rot kommt dieses Mal auch bei der CDU verstärkt vor. In unseren Kampagnen hat die Farbe aber politische Bedeutung“, sagt Volker Ludwig, Geschäftsführer der Agentur DiG. Er hat zusammen mit der Agentur Trialon 2005 den Namen Die Linke entwickelt.

Die Wirkung

Werbepsychologe Alexander Schimansky: „Leider bemüht die Linke längst überholte Klischees: Wild-West suggeriert, dass Ost-Berlin im Griff turbokapitalistischer Kräfte ist, die mit dem Westen assoziiert werden. Das wirft ein trauriges Schlaglicht auf den Zustand der Partei in ihrem Ablösungsprozess von altem SED-Dünkel. Schlimmer noch: Das Plakat wird zum Bumerang, da die Linke ja seit 2002 Berlin mitregiert. Besser wäre die Botschaft: Wir haben uns immer für stabile Mieten eingesetzt und werden das auch weiterhin tun.“

Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: „Thematisch ist das Plakat veraltet. Und auch strategisch ist es misslungen: Als Juniorpartner in der Koalition müsste man auf die eigenen Erfolge hinweisen. Außerdem scheint es, als sollte hier nur ein Teil der Stadt angesprochen werden.“

Karikaturist Klaus Stuttmann: „Bildmäßig – na ja, etwas dürftig. Aber der eigentliche Gag, der Brüller sozusagen, ist die Ankündigung, die Mieter vor Wildwest schützen zu wollen. Das hätte die Linke locker schon in den letzten Jahren tun können, sie war ja mit in der Regierung! Super ironisch, Dialektik vom Feinsten! Wie die Humorkritiker immer so schön sagen: Das Lachen bleibt einem im Halse stecken!“

Sehen Sie auf Seite 7 ein Plakat der Grünen - und wem hier die Augenhöhe mit Amtsinhaber Wowereit fehlt.

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Der Anspruch

„Man kann natürlich auflisten, was die anderen alles falsch gemacht haben. Die Leute wollen das aber nicht lesen. Wahlkampf sollte Lust sein. Also wurde ganz konkret ein Problem benannt und dann motivierend eine Lösung formuliert. In Umfragen haben wir herausgefunden, dass das S-Bahn-Problem als besonders drängend wahrgenommen wird. Das wird durch die S-Bahn symbolisiert, die auf dem Rücken liegt wie ein Käfer, der nicht mehr vorankommt“, sagt Matthias Riegel. Er ist verantwortlich für kreative Strategie bei der Agentur „Zum Goldenen Hirschen“.

Die Wirkung

Werbepsychologe Alexander Schimansky: „Von allen Beispielplakaten das handwerklich beste: Die Grünen verdeutlichen im Bild ein Problem und machen dann als einzige Partei klar, dass sie die Ärmel hochkrempeln wollen, um es zu lösen. Motto: Da ist ein echtes Problem, und wir haben die Lösung dafür parat – auch wenn sie etwas zu salopp formuliert ist (S-Bahn fit machen) und dadurch profan wirken könnte. Von der Visualisierung her ist fraglich, ob ein umgekippter Spielzeug-S-Bahnwaggon wirklich die Größe der Problematik zu veranschaulichen vermag. Niedlich auch der kleine Bär vor dem Text, der vermutlich den Grünen ein bisschen mehr Lokalkolorit verleihen soll.“

Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele: „Das S-Bahn-Thema ist gut dargestellt. Aber das reicht nicht für einen Wahlkampf auf Augenhöhe mit dem Amtsinhaber, die Herausforderung an den Amtsinhaber fehlt. Die Grünen wollen doch die neue Bürgermeisterin stellen!“

Karikaturist Klaus Stuttmann: „Fantastisch die Vorstellung, dass Frau Künast die Berliner auffordert, ihr endlich per Wahl zu erlauben, an den kaputten Achsen einer Modelleisenbahn rumfummeln zu dürfen! Unübertrefflich, dieser verbissene Humor! Und diese ätzend dilettantische grüne Sprechblase oder was das sein soll! Spitze!“

Die Experten

Alexander Schimansky ist Werbepsychologe. Bis 2005 lehrte er Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation. Seit 2007 hält er eine Professur für Marketing und Marktforschung an der International School of Management (ISM) in Dortmund.

Andrea Römmele ist Professorin für Politische Kommunikation an der Berliner Hertie School of Governance. Zudem ist sie Gründerin und Mitherausgeberin der Zeitschrift für Politikberatung.

Klaus Stuttmann kommentiert aktuelle politische Themen in seinen Karikaturen für den Tagesspiegel und andere Zeitungen. Mehr von ihm finden Sie unter www.stuttmann-karikaturen.de

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