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Die Wahl-Slogans der Parteien.

© dpa

Politikersprech: Wahlkampf ohne Phrasen und Fremdworte

„Aus dem Beamtendeutsch kommen die wohl nie raus“: Die Parteiprogramme für alle Wähler gleichermaßen verständlich zu gestalten, fällt manchem Politiker schwer. In Dahlem haben einige von ihnen versucht, mit geistig Behinderten ihre politischen Ziele zu diskutieren - ohne Phrasen und Fremdworte.

Er muss sich von seinem Stuhl erheben und noch einmal von vorn beginnen, diesmal laut und deutlich. Denn kaum jemand hat Gerwald Claus-Brunner, Kandidat der Piraten in Zehlendorf-Steglitz, verstanden, als er sich vorstellt und in einem Satz zu erläutern versucht, was seine Partei für Behinderte tun will. Zugegeben, die Aufgabe ist nicht einfach, all das soll in leichter Sprache geschehen. Die Zuhörer sind Menschen mit geistigen Behinderungen, die an diesem Abend in der Evangelischen Ernst-Moritz-Arndt Kirche in Dahlem zusammen gekommen sind, um sich über ihre Bundestagskandidaten zu informieren. Neben Claus-Brunner sind noch Ute Finckh-Krämer von der SPD und Nina Stahr von den Grünen gekommen. Die Kandidaten der anderen Parteien lassen sich von Parteikollegen vertreten.

Auch Claus-Brunners Mitstreitern fällt diese erste Aufgabe nicht wesentlich leichter. Sie nutzen Begriffe wie „Inklusion“ und „erster Arbeitsmarkt“, Fachtermini eines Themengebietes, auf dem die Angesprochenen Experten sind und doch mit den schwierigen Worten nichts anfangen können.

Die Sprache ist aber nicht das einzige, was diesen Abend von anderen Wahlkampfterminen unterscheidet. Die rund 50 Teilnehmer sitzen in einem Stuhlkreis, ein Gespräch auf Augenhöhe soll möglich sein. Nach einer Stunde stimmen alle darüber ab, ob weiter diskutiert werden soll. Sie haben sich bei einem Workshop gemeinsam vorbereitet, ihre Fragen an die Kandidaten hängen in großer Schrift ausgedruckt an den Wänden.

Wenig kontrovers: Barrierefreiheit und Verbesserung im Nahverkehr

Doch die sind eigentlich nicht nötig, denn Fragen haben die Teilnehmer mehr als genug. Meist drehen sie sich um alltägliche Probleme, die behinderte Menschen in Dahlem haben: Dass an der U-Bahnstation Oskar-Helene Heim der Fahrstuhl nicht funktioniert, dass so wenig Busse fahren und die Informationen an den Stationen schlecht lesbar sind. Da fällt es den Politikern schon leichter, ihre komplizierte Sprache aufzugeben.

Raum für Dissens lassen diese Themen freilich nicht; wer hat schon etwas gegen Barrierefreiheit und Verbesserungen im Nahverkehr? Erst als die Themen größer werden, werden Unterschiede deutlich: Nach einem flammenden Plädoyer eines Teilnehmers gegen Krieg können SPD, Grüne und Linke mit ihrem Vorhaben einer stärkeren Rüstungskontrolle punkten. Ebenso als es um Armut unter behinderten Menschen geht, da haben sie den Mindestlohn zu bieten. Jedoch nur einmal wird es fast explosiv, als Thomas Seerig, Ortsvorsitzender der FDP in Steglitz das Konzept seiner Partei zur Verbesserung der Situation von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt vorstellt: Die FDP möchte, dass Betriebe weiter wählen können, ob sie eine Abgabe zahlen, wenn sie die gesetzliche Quote behinderter Beschäftigter nicht erfüllen, oder stattdessen mehr Produkte von Behindertenwerkstätten kaufen wollen. Da kann Nina Stahr von den Grünen nicht an sich halten und wirft ein, diese Regelung sei doch das Gegenteil von Inklusion und man brauche eine sogar noch höhere und zwingende Abgabe – und fällt damit aus der bei ihr zuvor an diesem Abend vergleichsweise leicht gehaltenen Sprache.

„Aus dem Beamtendeutsch kommen die wohl nie raus.“

Kurz vor Schluss kommt dann noch der bei Wahlkampfterminen im Süden Berlins zur Zeit wahrscheinlich unvermeidliche Fluglärmgegner zu Wort. Auch wenn er begründen kann, warum seine Frage zum Thema der Veranstaltung passt – schließlich verursache Fluglärm Konzentrationsstörungen und Lernschwierigkeiten – wirkt sie ein wenig deplatziert und bleibt dennoch nicht unbeantwortet: Ute Finckh-Krämer von der SPD erinnert ihn daran, dass der Fluglärm über Zehlendorf wohl auch nicht unerträglicher sei, als ein vorbeifahrendes Auto. Daneben sei sie aber für ein Nachtflugverbot und damit in ihrer Partei in der Minderheitsposition.

Am Ende scheint die Mehrheit der Teilnehmer zufrieden mit der Veranstaltung und besser informiert für die Wahlentscheidung. Nur ein Befragter bemängelt: „Aus dem Beamtendeutsch kommen die wohl nie raus.“

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