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Polizist

© Davin Meckel/Ostkreuz

Polizei: Der korrekte Onkel

Resül Palta ist einer von nur 200 Polizisten mit Migrationshintergrund. Auf einer Streifenfahrt durch Neukölln erklärt der 28-Jährige sein wechselhaftes Verhältnis zu dem Bezirk. Dort nennen sie ihn heute "Onkel", eine türkische Ehrenbezeichnung.

Am Straßenrand kniet ein schwarzhaariger Mann. Er schraubt Nummernschilder an ein parkendes Auto, nachts um elf Uhr in Kreuzberg. Eine Routinekontrolle für die Polizisten. „Können wir bitte die Fahrzeugpapiere sehen?“ Der Mann versteht kein Deutsch. Nervös winkt er einen Freund heran, der die Fragen übersetzt. „Gehört dieses Auto Ihnen?“ Resül Palta steht neben seinem Kollegen, hört zu. Er versteht jedes Wort, das die Männer auf Türkisch wechseln. Die Übersetzung ist korrekt, keine heimlichen Absprachen. Palta gibt Entwarnung. Alles in Ordnung, kein gestohlener Wagen.

„Manchmal ist es besser, wenn ich meine türkische Herkunft nicht gleich zu erkennen gebe“, sagt Palta. „Man erfährt dann mehr.“ Am Ärmel seiner Uniform trägt er drei grüne Sterne: Polizeiobermeister. Er hat ein glattes Gesicht, der Dienst hat noch keine Spuren darin hinterlassen. 28 Jahre ist er alt, seit zehn Jahren arbeitet er als Polizist.

200 von 17.000

Wenn über das Verhältnis von deutscher Staatsmacht und türkischer Community diskutiert wird, ist meist von Problemen die Rede, von gewalttätigen Jugendgangs und Parallelgesellschaften, in denen eigene Gesetze gelten. Es scheint, als hätten deutsche Polizisten und türkische Migranten nicht viel gemeinsam. Doch dann sitzt im Polizeibus jemand wie Resül Palta, Sohn anatolischer Einwanderer, die vor 30 Jahren nach Neukölln kamen.

Palta ist einer von knapp 200 Kollegen mit Migrationshintergrund bei der Polizei, 200 von rund 17.000 Beamten. Innensenator Ehrhart Körting hätte gern mehr Polizisten wie Palta. Langfristig soll ihr Anteil auf zehn Prozent steigen.

Im vergangenen November sorgten in Kreuzberg Übergriffe gegen Polizisten für Aufsehen, die zwei mutmaßliche Diebe festnehmen wollten. Türkischstämmige Jugendliche bedrängten die Beamten, bedrohten sie. Hinterher warfen beide Seiten sich eskalierendes Verhalten vor. „Schwer zu sagen, ob ich die Leute hätte beruhigen können“, sagt Palta.

„Mit Gangs hatte ich dank meines Bruders nie etwas zu tun.“

In dieser Nacht ist es ruhig. Gemächlich rollt der Mannschaftswagen durch die Seitenstraßen. Das Funkgerät rauscht, die sechs Beamten sprechen über ihren Dienstplan. Die Bereitschaftspolizei ist eine große Maschinerie, militärähnlich organisiert. Sie soll die Streifenpolizisten in den Problembezirken unterstützen und wird bei Großfahndungen und Demos eingesetzt.

Es fühle sich gut an, Teil dieser Maschinerie zu sein, sagt Palta. Bei der Polizei zu arbeiten war bei ihm auch der Wunsch, zu einer Gemeinschaft dazuzugehören. Er ist 16 Jahre alt, als er die Uniform das erste Mal anzieht. Er betrachtet sich lange im Spiegel. Es ist ein komisches Gefühl. Er muss sich noch daran gewöhnen, dass er von nun an ein Repräsentant des deutschen Staats sein soll.

Er habe Glück gehabt, sagt Palta. Sein Bruder ist acht Jahre älter, geht in Neukölln auf eine Oberschule, auf der türkische und arabische Jugendgangs um die Vorherrschaft streiten. Für den jüngeren Bruder Resül sucht er eine bessere Schule – eine mit weniger Ausländern. „Mit Gangs hatte ich dank meines Bruders nie etwas zu tun.“ Vielleicht wäre sonst alles anders gekommen, sagt Palta.

Probleme mit den Wörtern der Beamtensprache

In der Polizeischule ist er der einzige Ausländer im Jahrgang. Obwohl er die Aufnahmetests gut bestanden hat, fällt ihm der Unterricht nicht leicht. Viele Wörter der Beamtensprache hat er noch nie gehört. Er schämt sich nachzufragen. Heimlich schreibt er die Wörter auf, schlägt sie abends zuhause nach.

Um Polizist zu werden, muss er die deutsche Staatsbürgerschaft annehmen. Doch die Papiere aus der Türkei lassen auf sich warten. Der Ministerpräsident muss die Aufgabe der türkischen Staatsbürgerschaft persönlich unterschreiben. Schließlich sprechen seine Eltern im Ministerium in Istanbul vor. Zwei Monate vor Ende der Ausbildung bekommt Palta einen deutschen Pass.

Der Wagen hält am Straßenrand. In Kreuzberg isst Palta im Dienst immer in demselben Döner-Imbiss. Er bestellt auf Türkisch. Der Mann hinter der Theke macht eine besonders große Portion für den „Onkel“ - so werden Polizisten im Türkischen oft genannt. Es ist eine Respektbezeichnung, sagt Palta. Der Onkel gelte in der türkischen Gesellschaft als jemand, auf den man hört.

„Ich werde immer etwas anders als meine Kollegen sein“

Früher wollte der Döner-Verkäufer dem Polizisten oft eine Cola schenken. Er hat es mittlerweile aufgegeben. Palta hat immer abgelehnt. „Das wäre Vorteilsannahme“, sagt er. Es wirkt, als müsse er zeigen, dass er ein besonders korrekter Polizist ist. „Ich werde immer etwas anders als meine Kollegen sein“, sagt Palta. In seinem Freundeskreis gibt es heute nur türkischstämmige Polizisten. „Wir haben die gleichen Erfahrungen gemacht.“

Der Name Resül bedeutet „Gottes Botschafter“. Palta ist gläubiger Muslim, von seinen Eltern religiös erzogen. Bevor er bei der Polizei begann, hat er mit dem Imam seiner Moschee gesprochen. Es sei in Ordnung während der Arbeit auf die fünf täglichen Gebete zu verzichten, hat der Imam gesagt. Er könne sie aufschieben und in der freien Zeit nachholen.

Der Mannschaftswagen rumpelt weiter über Kopfsteinpflaster. Neukölln, hier ist Palta aufgewachsen, und hier hat er als Streifenpolizist gearbeitet. Abschnitt 55, der Rollbergkiez gilt als Problembezirk. Auf der Polizeiwache begrüßt er ehemalige Kollegen mit Handschlag. Gerade als türkischstämmiger Polizist könne man hier einiges bewegen, sagt Palta. Er erinnert sich an die junge Türkin, knapp 20 Jahre alt, die zuhause ausziehen wollte. Verängstigt stand die junge Frau auf der Straße. Ein paar Sachen aus ihrem alten Zimmer wollte sie abholen. Doch der Vater regte sich immer mehr auf, wollte seiner Tochter Respekt vor der Tradition einprügeln. "In der türkischen Kultur ist es in der Regel so, dass die Töchter nur ausziehen, wenn sie heiraten“, sagt Palta.

Ein Polizist, der das Konzept der Familienehre kennt

Deutsche Kollegen sagten in einer solchen Situation meist, eine Volljährige könne ausziehen, wann es ihr beliebe. „Damit heizt man das Ganze nur an", sagt Palta. Er sprach lange mit dem Vater, zeigte Verständnis. „Es war wichtig für ihn, dass da ein Polizist war, der das Konzept der Familienehre kannte“, erzählt Palta. „So konnte ich ihm auch die Rechte der Tochter erklären.“ Schließlich konnte die junge Frau ihre Sachen zusammenpacken.

Trotz dieser Erlebnisse hat Palta nach drei Jahren um seine Versetzung gebeten. Ihn habe der Streifendienst im Rollbergkiez zu sehr belastet. „Es gibt hier eine extrem aggressive Grundhaltung vieler Ausländer gegenüber der Polizei." Schuld sei die Hoffnungslosigkeit vieler Einwanderer der zweiten und dritten Generation. „Für ihre Situation machen sie alle anderen verantwortlich, nur nicht sich selbst.“ Die Polizisten als Vertreter des Staates dienten den Frustrierten dann als willkommenes Feindbild.

Die Polizisten allein könnten die Probleme nicht lösen. "Wir sind nur Schachfiguren auf dem Brett der Politik", sagt er. Dennoch erwartet er, dass die Konflikte noch schärfer werden. Im Rollbergkiez habe er ständig selbst Gewalt anwenden müssen, um die Gesetze durchzusetzen.

Fünf Uhr, noch eine Stunde bis zum Schichtende. Der Mannschaftswagen rollt Richtung Polizeikaserne. Er sei jetzt ein Stück weiter weg von den Menschen, sagt Palta, nicht mehr so nah dran wie beim Streifegehen im Kiez. Sie seien nun immer in der Gruppe im Einsatz. Das fällt ihm leichter, sagt er. Dann ist er einfach einer unter mehreren.

Jan Pfaff

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