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Beratungsstellen-Leiterin Richter-Unger: „So ein Urteil kann das Trauma verlängern“

Sigrid Richter-Unger leitet die Einrichtung "Kind im Zentrum". Die Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Heranwachsende arbeitet eng mit Opferanwälten zusammen.

Was erhoffen sich Betroffene von einer Gerichtsverhandlung?

Den meisten geht es darum, dass ihnen geglaubt wird und ein Gerichtsurteil steht für eine öffentliche Anerkennung. Das ist besonders wichtig ist, wenn das Umfeld eines Betroffenen an dieser Tatsache zweifelt. Eine Verhandlung steht auch für den Wunsch, dass der Beschuldigte die Verantwortung ohne wenn und aber übernimmt. Oft minimiert der Angeklagte die Tat oder zeigt keine Reue.

Was empfindet ein Opfer, wenn der Täter ein mildes Urteil bekommt?

Möglich ist, dass es das Gefühl bekommt, der Täter hat es wieder geschafft sich heraus zu winden oder empfindet Ohnmacht darüber, dass das Erlebte nicht angemessen anerkannt wurde, was zu Selbstzweifeln führen kann. Andere wiederum sind erleichtert, dass der Prozess stattgefunden oder es überhaupt zu einer Verurteilung gekommen ist. Denn das ist nicht immer so, wenn der Täter seine Tat beispielsweise leugnet. Das kann das Trauma verlängern – muss es aber nicht. Bei Missbrauch ist die Traumatisierung generell eine wiederkehrende. Die Schwere der psychischen Folgen hängt vom Alter des Opfers ab, wie früh der Missbrauch anfing, von dessen Dauer, Art und Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung, aber auch von der Nähe zum Täter.

Was raten Sie Betroffenen im Vorfeld einer Verhandlung?

Wichtig ist, dass sie wissen, was sie erwartet und dass es private Unterstützer braucht. Zudem sollte eine Nebenklage durch einen Opferanwalt angestrebt werden, weil dieser Akteneinsicht hat und im Gegensatz zum Zeugen an der kompletten Verhandlung teilnehmen kann und die Rechtsprechung versteht. Dem Betroffenen muss klar sein, dass ein Täter bei einem Geständnis auch eine mildernde Strafe bekommen kann. Die Frage ist, ob die Person stark genug dafür ist.

Das heißt, eigentlich sollten nur gestärkte Opfer einen Prozess anstreben?

Ein Problem ist sicherlich, wenn jemand aus nächster Nähe wie der Partner oder ein Elternteil Anzeige erstattet und sich das Opfer nicht selbst dazu entschieden hat. Denn für einen Prozess muss man gewappnet sein. Daher ist es auch wichtig, bei Jugendlichen zu respektieren, wenn sie sich noch nicht bereit fühlen. In anderen Fällen muss zum Schutz des Kindes sofort agiert werden und die Aufarbeitung kann erst später beginnen. Wichtig ist, vor einer Anzeige gut beraten zu sein.

Das Gespräch führte Hadija Haruna

Sigrid Richter-Unger ist Leiterin der Einrichtung „Kind im Zentrum“. Die Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Heranwachsende arbeitet eng mit Opferanwälten zusammen.

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