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Glietsch

© Thilo Rückeis

Dieter Glietsch im Interview: "Linke Politiker müssen sich deutlicher von Gewalt abgrenzen"

Polizeipräsident Glietsch rät Autofahrern, ihre Fahrzeuge besser vor Brandstiftern zu sichern – und erwartet mehr Unterstützung auch durch die Parteien.

Jede Nacht brennen Autos in Berlin, und die Kritik an der Polizei nimmt ständig zu. Wäre es nicht sinnvoll, ihre operativen Maßnahmen öffentlich zu machen, damit klar ist, dass die Polizei mit voller Kraft gegen die Autozündler vorgeht und zugleich den Tätern deutlich zu machen: Wir kriegen euch.



Wir sagen, dass wir alle Mittel nutzen, die wir haben. Es macht absolut keinen Sinn, den Tätern mitzuteilen, welche Mittel das im Einzelnen sind oder gar wo und wann wir sie einsetzen.

In anderen Deliktfeldern, etwa im Kampf gegen Taschendiebe oder in der Rauschgiftkriminalität, sind polizeiliche Erfolge mit Sonderkommissionen erzielt worden. Sollte man nicht auch die politisch motivierten Brandstiftungen mit einer Soko bekämpfen?

Das, was wir mit dem für politisch motivierte Delikte zuständigen Staatsschutz und den Operativkräften tun, geht weit über die Arbeit einer Soko hinaus. Dass wir bei diesem Delikt zurückhaltend mit Informationen sind, dafür möchte ich um Verständnis werben.

Haben Sie Lockfahrzeuge im Einsatz?

Dazu sage ich nichts.

Haben sie mehr Beamte auf der Straße, haben sie Hubschrauber im Einsatz?

Ein Hubschraubereinsatz gegen Brandstifter bringt nichts.

Außer Abschreckung.

Nein, das hätte denselben Effekt wie andere Formen von Aktionismus. Natürlich könnte ich zur Abschreckung auch mal zwei- oder dreitausend Beamte auf die Straße stellen. Das wäre aber ein Ressourcenverbrauch, den ich nicht verantworten kann, weil der Effekt gleich null sein würde.

Aber es hält vielleicht Mitläufer ab. Derzeit gilt doch: Man kann Spaß haben bei minimalem Risiko.

Dort, wo die Polizei gerade steht, geht, fährt oder fliegt, wird kein Auto angezündet. Das Risiko für die Täter ist aber die Festnahme auf frischer Tat. Deshalb treffen wir operative Maßnahmen, von denen unsere Experten sagen, das macht angesichts der schwierigen Beweisführung Sinn, auch wenn die Zahlen der Festnahmen bislang noch nicht so sind, wie wir uns das wünschen.

Trotz aller Bemühungen: Braucht es neue Ansätze, weil die Polizei bislang wenig erfolgreich ist?

Die Stimmungslage in der Stadt hilft nicht weiter bei der Frage, was wir tun können und ob es Dinge gibt, die wirkungsvoller sind als das, was wir bislang tun. Ich höre mit Interesse, dass der CDU-Politiker Trapp erklärt, es gebe noch Möglichkeiten, die wir ausschöpfen könnten. Bislang hat er mir sein Patentrezept nicht mitgeteilt. Selbstverständlich denken wir gerne über jede Anregung nach. Ich bin aber ziemlich sicher, dass es nichts gibt, was für unsere Spezialisten neu wäre.

Seit 2005 haben wir 358 Brandanschläge – verurteilt wurden zwei Täter, etwa zu Freizeitarrest. Andere Angeklagte wurden wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Zahlen sprechen gegen ihre Anstrengungen.

Der Verlauf der Prozesse der vergangenen Woche, wo Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen werden mussten, bestätigt eher, wie außerordentlich schwierig es ist, Taten aufzuklären und Täter dingfest zu machen.

Bedeutet das, dass Sie den Kampf gegen die Brandstifter verloren geben?

Nein. Wir arbeiten mit voller Kraft weiter. Wir tun alles, was sinnvoll ist, auch was den Personaleinsatz angeht. Ich werde dem für die Ermittlungen zuständigen Staatsschutz stets so viel Personal zur Verfügung stellen, wie die Experten es für erforderlich halten. Doch auch durch 1000 oder 2000 Beamte mehr auf der Straße wäre nicht jeder Brand zu verhindern. Unser Ziel muss es sein, die Täter auf frischer Tat beweissicher festzunehmen.

Der CDU-Politiker Trapp wirft der Polizei vor, dies nicht professionell genug zu tun.

Meine Mitarbeiter wissen es sicher zu würdigen, wenn Politiker sich über ihre Arbeit äußern, ohne sich vorher sachkundig gemacht zu haben. Ich kann nicht erkennen, was Herr Trapp an den Leistungen der Polizei auszusetzen hat.

Vermissen Sie bei den Parteien Ansätze, auf die Gewalttäter politisch einzuwirken?

Wir als Polizei sollten nicht so tun, als ob es in der Politik eine zündende Idee geben könnte, wie man das Problem löst. Es gibt aber Handlungsmöglichkeiten. Das fängt bei der Frage an, ob wir in der Bildung alles tun, damit wir keine Schulabgänger haben, die glauben, dass man mit Gewalt politische Ziele erreichen kann. Es gibt viel Präventionsarbeit in den Schulen gegen Rechtsextremismus. Wir sollten auch darüber nachdenken, ob wir gegen den Linksextremismus genug tun.

Die Politik muss sich aber auch fragen, ob wir Betroffene genügend beteiligen und einbinden bei Veränderungsprozessen, etwa durch städtebauliche Vorhaben, damit es nicht zu einem vermeidbaren Zulauf von Sympathisanten und Unterstützern für Extremisten kommt.

Ein Politiker der Linken hat die letzte 1.-Mai-Demonstration angemeldet, aus der heraus es zu massiver Gewalt kam.

Politiker links von der Mitte sollten vorhandene Zugänge zur linksextremen Szene zur Einflussnahme nutzen und sich noch deutlicher von Gewaltbereiten abgrenzen. Das gilt auch bei Anlässen, bei denen demokratische und extreme Linke ein gemeinsames politisches Ziel haben, etwa im Kampf gegen Rechtsextremismus. Gewalt muss ohne Wenn und Aber geächtet werden, sie darf bei keiner Gelegenheit und in keiner Form als akzeptabel angesehen werden.

Vorgeschlagen wird von der CDU ein runder Tisch gegen Gewalt.

Was soll dieser Tisch tun? Das ist doch eine Luftnummer. Die sogenannten bürgerlichen Parteien sollten lieber aufhören, nach jedem abgebrannten Auto die Polizei als unfähig darzustellen und zu erklären, wir täten nicht genug. Wenn die Polizei öffentlich beschimpft wird, ist das ein zusätzlicher Erfolg für die Gewalttäter.

Zum Erfolg der Täter tragen die Misserfolge der Polizei bei.

Ja, die linke Szene profitiert davon, dass es außerordentlich schwer ist, diese Delikte erfolgreich zu bekämpfen. Doch die Art und Weise, wie damit öffentlich umgegangen wird von der Politik und den Medien, entzieht der Polizei die Unterstützung durch die Bevölkerung und nützt damit den Gewalttätern.

Was raten sie Autobesitzern, wie sie sich verhalten sollen?

Wer Angst um sein Auto hat, tut gut daran, es möglichst sicher abzustellen. Obwohl die Polizei alles tut, was man von ihr erwarten kann, um gegen diese Verbrechen vorzugehen, können wir nicht alle Anschläge verhindern.

Also ins Parkhaus stellen?

Wo immer eine gesicherte Unterstellmöglichkeit genutzt werden kann. Der Schutz hochwertigen Eigentums darf nicht allein der Polizei überlassen werden. Wenn wir wissen, wie leicht und wie schnell ein Auto in Brand gesteckt werden kann, dann dürfen wir den Leuten doch nicht sagen, dass sie ihren teuren Wagen ruhig an der dunkelsten Stelle auf der Straße stehen lassen können.

Vielleicht sollten Sie mal vorführen, wie leicht ein Auto angesteckt werden kann.

Nein. Damit laufen wir nur Gefahr, dass Trittbrettfahrer sich animiert fühlen und weitere Anregungen erhalten.

Wird die linksextreme Szene stärker?

Die gewaltbereite linksextremistische Szene ist zahlenmäßig nicht stärker, aber wesentlich aktiver geworden. Das macht mir Sorgen – auch mit Blick auf den kommenden 1. Mai. Deswegen sollten wir mit vereinten Kräften alles tun, was möglich ist, um dem entgegenzuwirken, nicht nur den Mitteln der Polizei.

Aus der Kriminalitätsstatistik geht hervor, dass die Jugendkriminalität auch in diesem Jahr zurückgeht. Wirkt das Intensivtäterkonzept?

Nicht nur in der Jugendkriminalität gibt es rückläufige Zahlen. Die Gesamtkriminalität ist in Berlin seit 2002 um über 100 000 Straftaten zurückgegangen. Von 584 000 auf 482 000. Das ist ein wesentlich stärkerer Rückgang als bundesweit. Bundesweit beträgt das Minus sechs Prozent, in Berlin sind es seit 2002 minus 17,5 Prozent. Bevor die Ermittlungsgruppe „Tasche“ gegründet wurde, gab es 18 000 Fälle von Handtaschenraub, im vergangenen Jahr waren es nur noch 12 000. Besonders erfreulich ist die Entwicklung bei Gewaltdelikten. Von Anfang an haben wir die Bekämpfung der Gewaltdelikte, die ja zum großen Teil von Jugendlichen begangen werden, in den Mittelpunkt gestellt. Ein wesentlicher Baustein ist dabei das Intensivtäterkonzept, das von der engen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft lebt. Dies ist ebenso wie unser Präventionskonzept ein ganz wichtiger Beitrag für den Rückgang bei den Jugendgewaltdelikten. Bei Rohheitsdelikten gab es von 2002 bis 2008 einen Rückgang um 5,5 Prozent. Bundesweit gab es dagegen einen Anstieg um 20 Prozent. Unsere Konzepte haben also gut gegriffen.

Sinkt die Zahl der Straftaten, weil mittlerweile so viele Intensivtäter in Haft sitzen oder schreckt das harte Vorgehen ab?

Beides. Derzeit haben wir 540 Intensivtäter registriert. Die Zahl der Haftbefehle ist von 120 im Jahr 2005 auf 227 im Jahr 2008 gestiegen. Durch diese Inhaftierungen wurde Gewalt abgeschöpft. Und sie haben sich herumgesprochen in der einschlägigen Szene.

Ein großer Teil der Intensivtäter sind Migranten. Vor kurzem sorgte man sich in Berlin, dass sich Parallelgesellschaften bilden, ohne Respekt vor deutschen Gesetzen. Ist diese Gefahr gebannt?

Wir sind auf einem guten Weg. Auch hier hilft das Intensivtäter-Konzept.

Muss man noch mehr Druck auf die Familien ausüben?

Die Polizei steht am Ende des Prozesses. Wir müssen in Erziehung und Bildung investieren. Es geht vor allem um die Familien, die die deutsche Sprache nicht beherrschen, in der Arbeitslosigkeit leben und deshalb nicht so integriert sind, wie wir uns das wünschen. Jugendliche, die die Schule ohne Abschluss verlassen und auf der Straße herumhängen, laufen letztlich Gefahr, in kriminelle Karrieren hineinzugeraten. Heute gibt es zwar noch keinen optimalen, aber einen deutlich besseren Informationsaustausch mit Jugendämtern und Schulen. Wir müssen frühzeitig auf Problemfälle aufmerksam werden, um schon im Kindesalter ein Abgleiten in die Kriminalität zu verhindern.

Wann startet die Kennzeichnungspflicht für Polizisten?

Der Gesamtpersonalrat wird sich in den nächsten Tagen mit der Geschäftsanweisung befassen. Zustimmung wurde mir aber nicht signalisiert.

Können Sie die Kennzeichnung gegen den Personalrat durchsetzen?

Wenn der Personalrat nein sagt, wird das Stufenverfahren eingeleitet. Spätestens in der Einigungsstelle rechne ich mit einer Zustimmung.

Können Sie die Sorgen von Polizisten nachvollziehen?

Die Regelung berücksichtigt diese Sorgen. Die Beamten können je nach Auftrag und Lage entscheiden, ob sie ihren Namen tragen oder ihre Dienstnummer. Dazu müssen sie nur das Namensschild umdrehen.

Sie sind entschlossen, das durchzusetzen?

Ja.

Das Interview führten Jörn Hasselmann und Gerd Nowakowski



PORTRÄT

SEIN WERDEGANG

Dieter Glietsch wurde am 2. Mai 1947 im hessischen Willingen geboren. 1964 verließ er das Gymnasium vor dem Abitur und ging zur Polizei. Er begann als Wachtmeister im mittleren Dienst und wurde höchster Polizeibeamter in Nordrhein-Westfalen. Sein größter Coup war, den umstrittenen Castor-Transport 1998 früher und unangekündigt durchs Land rollen zu lassen.

SEIN AMTSANTRITT

Dieter Glietsch wurde im Mai 2002 Polizeipräsident. Bei seinem Amtsantritt kritisierten Gegner, der Mann mit dem sehr sachlichen Führungsstil sei wegen seiner SPD- und GdP-Mitgliedschaft Wunschkandidat der Politik – nicht aber der Polizei. Er strukturierte um, sparte ein, führte eine Kultur des offenen Umgangs mit eigenen Fehlern ein.

SEINE ARBEITSWEISE

Dieter Glietsch maß der Deeskalation und Prävention schon immer große Bedeutung bei. Am 1. Mai 2008 wurde er von Randalierern attackiert. Heftige Kritik handelte sich Glietsch ein, als er im Juni 2008 Porschefahrern anriet, lieber nicht in Kreuzberg zu parken. Tsp

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