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Durchsuchungen: Terror-Razzia von langer Hand geplant

Die Polizei hat in einer großangelegten Razzia Wohnungen in Kreuzberg und Neukölln durchsucht. Die Aktion gilt gewaltbereiten Islamisten, die Anschläge in Russland planen sollen. Es ist der bislang größte Einsatz in Berlin gegen Islamisten.

Gegen sechs Uhr begann eine groß angelegte Razzia gegen mutmaßliche islamistische Terroristen: 140 Beamte des Staatsschutzes, des Landeskriminalamtes und der Berliner Polizeidirektion 5 Kreuzberg-Neukölln waren bis in den Nachmittag hinein im Einsatz. Sie durchsuchten 28 Wohnungen und öffentliche Räume in Kreuzberg und Neukölln, stellten Computer, Schriften und Kleidung sicher. Die Razzien erfolgten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens „wegen Verabredung zum Mord“ und richteten sich gegen drei 28, 30 und 36 Jahre alte mutmaßliche Islamisten.

Die Sprecherin von Innensenator Ehrhart Körting sagte: „Es gibt keine konkreten Hinweise, dass diese Personengruppe oder andere in Berlin Anschläge planen“, so Nicola Rothermel. Dennoch gelte weiterhin eine erhöhte Alarmbereitschaft, weil die „abstrakte Gefahr zugenommen habe“. Seit dem 28. September hat die Berliner Polizei die Zahl ihrer Streifen besonders im öffentlichen Nahverkehr erhöht.

Die Berliner Ermittlungen waren aufgrund von Hinweisen aus dem Ausland und internationalen polizeilichen Ermittlungen aufgenommen worden. Wie die Staatsanwaltschaft mitteilte, soll ein Berliner Islamist arabischer Herkunft als Kopf einer mutmaßlich gewaltbereiten Personengruppe von etwa fünfzehn Personen Terroranschläge in Russland geplant haben. Die Beschuldigten hätten sich nicht zu den Vorwürfen geäußert. Nach Informationen des Tagesspiegels haben alle drei Männer einen deutschen Pass.

Ausbildung in pakistanischen Terrorcamps

Den Ermittlern zufolge sind aus diesem islamistischen Kreis bereits einige Personen aus Deutschland ausgereist, um sich in pakistanischen Terrorcamps ausbilden zu lassen, teilte die Staatsanwaltschaft gestern weiter mit. Zusammenhänge mit den islamistischen Drohvideos, in denen terroristische Anschläge in Deutschland angekündigt werden, seien bislang nicht ersichtlich. Vermutungen wonach die mutmaßlichen Terroristen aus dem Kreise tschetschenischer Asylanten oder Asylbewerber stammen könnten, wurden bisher nicht bestätigt. Seit etwa zwei Jahren sind die Exil-Tschetschenen nach Angaben des Vorsitzende der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft Ekkehard Maaß in zwei Lager gespalten. Eines davon folgt dem selbst ernannten „kaukasischen Emir" Doku Umarov, der in den russischen Medien als Top-Terrorist gehandelt wird.

Von einer Radikalisierung in der Berliner Tschetschenen-Gemeinde ist Maaß zufolge nichts zu spüren. Allerdings sei zu hören, dass vereinzelt Jugendliche für den Kampf im tschetschenischen Untergrund rekrutiert werden sollten. Zwei oder drei junge Männer sollen diesem Aufruf gefolgt und in ihre Heimat zurückgekehrt sein.

Die Berliner Verfassungsschützer zählen in ihrem letzten Bericht aus dem vergangenen Jahr rund 430 Bewohner der Stadt zum Bereich „islamistischer Terrorismus“ – 110 Personen mehr als ein Jahr zuvor. Tschetschenen werden nicht ausdrücklich erwähnt.

Der bisher größte Einsatz von Ermittlern gegen mutmaßliche Islamisten in Berlin war ein gezielter Schlag gegen die in Berlin wachsende Gefahr einer sich radikalisierenden Szene. Der letzte Bericht des Verfassungsschutzes hatte dem Bereich des „islamistischen Terrors“ ein alarmierend stark wachsendes „Personenpotenzial“ zugeordnet. Diesem galt offenbar die Aktion.
Wie die Staatsanwaltschaft gestern mitteilte, haben Beamte des Staatsschutzes und des Landeskriminalamtes eine Vielzahl von Aufenthaltsanschriften der Beschuldigten und ihrer Kontaktpersonen ermittelt. Und einem mit den Vorgängen vertrauten Beamten zufolge ist die Razzia Teil eines langfristigen Vorgehens gegen mutmaßliche Berliner Islamisten.

Das Umfeld "auf den Kopf stellen"

In den vergangenen Wochen seien in vier Fällen muslimische Männer von der Ausreise aus Deutschland abgehalten worden. Ob es sich bei diesen Männern um dieselben Personen handelt, die im Mittelpunkt der heutigen Razzia standen, ist unklar. Die Behörden hatten die Pässe der Berliner arabischer und türkischer Herkunft eingezogen. Dabei sei nicht einmal zweifelsfrei klar gewesen, wohin die Verdächtigen hätten reisen wollen, sagen Juristen.

„Im arabischen Milieu gibt es nur einen groben Überblick“, sagt der Experte. Problematisch sei nach wie vor, dass sich die Verdächtigen häufig nicht in Deutsch verständigten. Deshalb versuche man auch durch Razzien neue Erkenntnisse zu gewinnen. Im aktuellen Fall habe man deshalb auch das komplette Umfeld „auf den Kopf stellen wollen“.

Nach der Razzia erklärte Justizsprecher Holger Freund am Nachmittag: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für Planungen von Anschlägen gegen Deutschland“. Die Razzien standen laut Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen drei 28, 30 und 36 Jahre alte mutmaßliche Islamisten, denen die Verabredung von Terroranschlägen in Russland zur Last gelegt wird. Haftbefehle gegen die drei Verdächtigen seien nicht beantragt worden. Zum Erlass eines Haftbefehles müsse ein dringender Tatverdacht vorliegen, hieß es weiter. Das setze voraus, dass die Beschuldigten mit hoher Wahrscheinlichkeit verurteilt werden. Dies ist bisher offenbar nicht der Fall. Bislang sind Anschlagsziele nicht konkret bekannt geworden.

Das Sprachproblem der Ermittler

Bei derartigen Aktionen gehe es vordergründig darum Hinweise zu sichern, bevor die Verdächtigen ins Ausland gehen können, sagten Berliner Juristen dem Tagesspiegel. In den vergangenen Tagen seien mehrere mutmaßliche Islamisten aus Berlin mit Ausreiseverboten belegt worden. Konkret sollen Beamte die Pässe der Verdächtigen eingezogen haben, so dass die Betroffenen nirgendwo hinfliegen können. „Dabei war nicht mal klar, wohin mein Mandant angeblich habe fliegen wollen“, sagt der Anwalt eines Betroffenen. Von mit dem Milieu vertrauten Juristen und Polizisten heißt es, dass Durchsuchungen bei mutmaßlichen Islamisten „vor allem viel Papierkram“ zur Folge hätten. „Meistens geht es bei solchen groß angelegten Aktionen nicht um bestimmte Täter, sondern darum Einblick in ein potenziell gefährlichen Kreis zu erhalten“, sagt ein Beamter, der das Milieu kennt.

Da sich die deutschen Sicherheitsbehörden in den häufig fremdsprachigen Milieus nicht auskennen würden, müsse oft jeder beschriebene Zettel, jedes Buch und jede Computerdatei beschlagnahmt und ausgewertet werden. „Das dauert meist Wochen, weil dazu gute Übersetzer nötig sind“, sagt der Kenner. Außerdem komme es wegen der Fülle des beschlagnahmten Materials und der hohen Sicherheitsstandards bei Razzien gegen vermeintliche Islamisten mitunter auch dazu, dass Kochbücher, Musik-CDs und Waschanleitungen ausgewertet würden. „Es können überall kleine Notizen versteckt worden sein“, erklärt der Experte.

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