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Gewalttätige Übergriffe: Häftling in JVA Tegel monatelang misshandelt

In der Justizvollzugsanstalt Tegel soll es nach Informationen des Tagesspiegels über Monate hinweg zu schweren Vergewaltigungen und Erpressung eines Häftlings durch einen Mitgefangenen gekommen sein. Andere Gefangene fragen sich jetzt, wieso nicht eher reagiert wurde.

In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tegel soll es nach Informationen des Tagesspiegels über Monate hinweg zu schweren Vergewaltigungen und Erpressung eines Häftlings durch einen Mitgefangenen gekommen sein. In einem, Brief, der dem Tagesspiegel vorliegt, wandten sich Gefangene nun an verschiedene Mitglieder des Abgeordnetenhauses. Sie machen darin Personalmangel für die Vorfälle verantwortlich. Die Sozialarbeiter seien überfordert und hätten deshalb die Not des Opfers nicht rechtzeitig erkannt.

Für Henry W. ist das Leben in der JVA Tegel unerträglich geworden. Sein Zellengenosse Xaver S. soll ihn im vergangenen halben Jahr erst erpresst und dann regelmäßig missbraucht haben. „Jeder hier weiß, was passiert ist“, sagt ein Mithäftling. Er beschreibt Henry W. als einen Mann „von schmächtiger Gestalt“, Mitte 30, der sich schlecht wehren könne. Sein mutmaßlicher Peiniger habe W. mit Geschäften von sich abhängig gemacht und unter Druck gesetzt. Im Gegenzug soll er gewalttätige sexuelle Handlungen von W. verlangt haben. Später berichtete W., er habe alles über sich ergehen lassen, weil S. gedroht habe, seine Mutter zu töten, sobald er entlassen werde. Mitte Juli vertraute er sich einer Beamtin an. Xaver S. bestreitet die Vorwürfe.

Justizverwaltungssprecher Bernhard Schodrowski bestätigte einen Vorfall zwischen den beiden Gefangenen. Die Rede ist von „Sklavendiensten“, die über die vergangenen drei Monate eingefordert worden sein sollen. Dazu soll etwa gehört haben, dass W. seine Einkäufe an Xaver S. abgeben musste. Sofort nach Bekanntwerden der Vorfälle habe die Gefängnisleitung gehandelt, so Schodrowski. Die Häftlinge wurden getrennt. Xaver S. wurde in einen gesicherten Bereich gebracht, Anzeige wurde erstattet. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts der Vergewaltigung.

Häftlinge berichten, der Fall sei erst ans Licht gekommen, nachdem der zuständigen Sozialarbeiterin zwei unterschiedliche Handschriften auf einem Bestellzettel aufgefallen waren. Schon im vergangenen Jahr soll S. einen Zellengenossen erpresst und in dessen Namen Bestellungen aufgegeben haben. Die Mitarbeiterin hakte nach und W. packte aus. Viel zu spät, meinen die Tegeler Insassen. „Wie konnte sich so etwas Schreckliches unter den Augen von Justizbeamten über fast ein halbes Jahr lang ereignen?“, fragen sie in ihrem Brief.

Generell erklärte Justizsprecher Schodrowski dazu, die Gefangenen stünden in ihrer Zelle nicht permanent unter Aufsicht des Wachpersonals. In Einzelfällen komme es deshalb zu einem unerwünschten Beziehungsgefüge zwischen Gefangenen. Es sei wichtig, dass die Mitarbeiter die Insassen gut kennen, um solche Strukturen aufzubrechen.

In der Teilanstalt V, in der sich jetzt die Vorfälle ereignet haben sollen, findet sogar ein Wohngruppenvollzug statt. Nur Gefangene, die besonders geeignet sind und ihr Verbrechen aktiv aufarbeiten wollen, werden hier untergebracht. Der Personalschlüssel ist deshalb im Vergleich besonders gut. Etwa 30 Gefangene hat laut Justizverwaltung ein Sozialarbeiter dort zu betreuen. Bundesweit sei Tegel damit an der Spitze, sagte Schodrowski.

Doch die Realität sieht oft anders aus. Volker Ratzmann, Vorsitzender der Berliner Grünen, hatte den mutmaßlichen Täter als Anwalt in der Vergangenheit beraten. Im aktuellen Fall vertrete er ihn nicht, kenne aber die Verhältnisse in Teilanstalt V. Seit Jahren leide man dort unter „erheblichem Personalmangel.“ Das günstige Verhältnis von Sozialarbeitern und Gefangenen bestehe nur auf dem Papier.

Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Dirk Behrendt, fordert deshalb, das Personal besser einzusetzen. Mehr Beschäftigte seien angesichts der Haushaltslage „illusorisch“. Man könne aber etwa das Personal der Wachtürme sinnvoller einsetzen. Zudem sei der Altersschnitt der Mitarbeiter zu hoch, was sich in einem hohen Krankenstand niederschlage.

Auch im aktuellen Fall soll Häftlingen zufolge die zuständige Sozialarbeiterin mehr als sechs Monate krankgeschrieben gewesen sein – ohne adäquate Vertretung. Real sei daher ein Betreuungsschlüssel von eins zu 70. Sidney Gennies

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