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Gewaltverbrechen: Zwei Morde – ein Verdacht

Binnen weniger Wochen wurden in Reinickendorf und Wilmersdorf zwei alte Frauen getötet. Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang.

Berlin - Zu dem Mord an der 73-jährigen Hannelore Tschirschnitz aus der Wilmersdorfer Eisenzahnstraße hat die Polizei noch keine konkrete Spur. Wie berichtet, war sie am Montag vergangener Woche in ihrer Wohnung getötet worden. Dem Tagesspiegel liegen allerdings Informationen vor, wonach ein Zusammenhang mit der Tötung einer anderen Rentnerin nicht auszuschließen ist: Vor drei Wochen war die 70-jährige Christa Müller in der Garage ihres Hauses in Reinickendorf tot aufgefunden worden. Beide Opfer sollen erdrosselt oder erstickt worden sein, und es soll weitere Parallelen geben. Die Polizei geht bislang von getrennten Fällen aus. „Momentan sehen wir keinen Zusammenhang“, sagte ein Polizeisprecher.

Bei beiden Frauen war die Todesart nicht sofort offensichtlich. Sie wurden gefunden, weil sich Nachbarn und Angehörige Sorgen machten und die Wohnungen öffnen ließen. Obduktionen der Gerichtsmedizin ergaben dann, dass Christa Müller wie auch Hannelore Tschirschnitz gewaltsam ums Leben kamen.

Doch Obduktionen erfolgen nicht automatisch: Etliche Tötungsverbrechen bleiben verborgen, weil die Leichen gar nicht erst zur Rechtsmedizin kommen. Eine Studie der Universität Münster vor gut zehn Jahren hatte ergeben, dass deutschlandweit mindestens 1200 Morde pro Jahr unentdeckt bleiben. Konkret heißt das: Jedes zweite Tötungsdelikt wird als solches nicht erkannt.

In Fachkreisen ist bekannt, dass auch in Berlin mehr Gewaltverbrechen aufgedeckt würden, „wenn häufiger obduziert würde und die Ärzte besser qualifiziert wären“, sagte ein Experte. Das Problem sei, dass jeder Arzt eine Leichenschau vornehmen dürfe – egal, ob er Augenarzt, Gynäkologe oder etwa Kinderarzt ist. „Es wird hier keine Zusatzqualifikation gefordert, und ohnehin gibt es viel zu wenige Fortbildungen“, sagte der Experte.

Vor Jahren war bereits polizeiintern kritisiert worden, dass einige Ärzte von der Zimmertür aus einen natürlichen Tod diagnostizierten, ohne die Leiche überhaupt genauer begutachtet zu haben. Das Prozedere sollte eigentlich anders laufen: Nach dem Auffinden einer Leiche wird ein Mediziner herbeigerufen – häufig ein Bereitschaftsarzt ohne entsprechende Qualifikation zur Leichenschau. Auf dem Totenschein kann er drei Todesarten ankreuzen: „natürlicher Tod“, „nicht natürlicher Tod“ oder „ungewiss“. Ersteres ist beispielsweise das Sterben nach einem Krebsleiden. Ein „nicht natürlicher Tod“ sind alle Suizide oder aber, wenn die Leiche beispielsweise Messerstiche, Würgemale oder Schussverletzungen aufweist. Alle anderen Fälle gelten als „ungewiss“ – wie die Fälle Müller und Tschirschnitz.

Die Kripo ermittelt dann im Umfeld der Opfer. Erst wenn der Tod trotz der Ermittlungen weiter unerklärbar bleibt, regt die Staatsanwaltschaft eine Obduktion an. „Optimal wäre, wenn in jedem Fall einer ungewissen Todesursache eine Obduktion stattfände. Doch das verursacht dem Staat zu viele Kosten“, erklärt der Experte. Und es hätte weitere finanzielle Folgen: Es müssten mehr Ermittler und am Ende auch mehr Rechtsmediziner beschäftigt werden.

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