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Viereinhalbjahre Haft: Angeklagter Onur U. bei einem der ersten Verhandlungstermine.

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Update

Haftstrafen im Fall Jonny K.: "Mischung aus Dummheit, Arroganz, Unverschämtheit und Aggressivität"

Der Richter fand deutliche Worte, das Strafmaß ist streng: Zehn Monate nach der tödlichen Prügelattacke auf Jonny K. hat das Berliner Landgericht alle sechs Schläger zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Staatsanwaltschaft zeigt sich mit dem Urteil zufrieden - die Verteidigung hält es für "deutlich zu hoch". Und kündigt Revision an.

Er holte tief Luft bei der verkündeten Strafe, starrte kurz seinen Anwalt an und saß dann immer wieder grinsend auf der Anklagebank. Onur U. wurde zehn Monate nach der tödlichen Prügelattacke auf den 20-jährigen Jonny K als Haupttäter zu viereinhalb Jahren Jugendhaft Haft verurteilt. Er wurde am Donnerstag als einziger der sechs Angeklagten der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen. Die fünf weiteren Schläger erhielten wegen gefährlicher Körperverletzung und Beteiligung an einer Schlägerei Haftstrafen von mehr als zwei Jahren und drei Monaten sowie zwei Jahren und acht Monaten.  

Der damals 19-jährige Onur U. habe das Geschehen in der Nacht zum 14. Oktober 2012 am Alexanderplatz ausgelöst. „Aus einer Mischung aus Dummheit, Arroganz, Unverschämtheit und Aggressivität“, sagte der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck. In der Folge habe sich eine Tragödie abgespielt, „bei der ein hilfsbereiter junger Mann ohne Anlass sein Leben verlor“. Der gelernte Boxer U. habe Jonny K. den ersten Faustschlag versetzt. Das sei für die anderen Angeklagten überraschend gewesen. Dennoch hätten sie anschließend "bedenkenlos mitgemacht". „Alles, was danach passierte, ist allen zuzuordnen“, so Schweckendieck.

Jonny K. war durch Schläge und Tritte so heftig attackiert worden, dass er auf das Straßenpflaster stürzte. Er starb wenig später massiven Hirnblutungen. Sein 29-jähriger Freund war von U. durch Faustschläge massiv im Gesicht verletzt worden. Es sei unklar, ob Jonny K. durch den ersten Faustschlag, Tritte gegen den Kopf oder den ungebremsten Sturz tödlich getroffen wurde, sagte Schweckendieck. Auch wer getreten hat, müsse offen bleiben.

Ob das Urteil angemessen ist, bewertete Innensenator Frank Henkel (CDU) nach der Verkündung nicht. Er sagte, dies sei schwer zu beantworten. "Kein Richterspruch bringt den jungen Jonny zurück, und sein Tod lässt sich nicht in Haftjahren aufwiegen. Dennoch ist es ein wichtiges Zeichen, dass die Schläger, die so viel Schuld auf sich geladen haben, nicht frei nach Hause gehen können. Das Urteil wird den Schmerz der Familie nicht lindern, aber es wird ihr hoffentlich helfen, ein wenig zur Ruhe zu kommen." Die Politik sei in der Pflicht, dass die Debatte um den Tod Jonnys nicht wieder einschlafe. "Es muss unser Anspruch bleiben, dass sich etwas in den Köpfen verändert und wir weiter über Werte sprechen. Das Engagement von Jonnys tapferer Schwester Tina ist ein Grund dafür, warum wir an eine solche Veränderung glauben können.“

Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) ließ mitteilen, dass er sich grundsätzlich nicht zu Gerichtsurteilen äußert. Innen- und Rechtspolitiker Benedikt Lux (Grüne) wertet das Urteil als angemessen. "Da der Tatverlauf nicht vollkommen aufgeklärt werden konnte, erscheint das Urteil vor dem Hintergrund der Tatsachenlage angemessen. Der Senat muss nun ein Konzept vorlegen, wie belebte Umsteigebahnhöfe sicherer gemacht werden können - etwa mit mobilen Wachen", sagte er.

Mit dem Richterspruch bleibt Onur U., der kurz nach der Tat für sieben Monate in der Türkei untergetaucht war, weiter in Untersuchungshaft. Die fünf Mitangeklagten dagegen wurden bis zur Rechtskraft des Urteils von der U-Haft verschont. Gegen die drei erwachsenen Angeklagten Bilal K., 25, Hüseyin I., 21, und Melih Y., 21, hatten die Richter zwei Jahre und acht Monate Haft verhängt, gegen Osman A., 19 und Memet E., 20, zwei Jahre und drei Monate. Alle Angeklagten hatten eine Beteiligung an der Schlägerei zugegeben, eine Verantwortung für den Tod von Jonny K. aber bestritten.  

Oberstaatsanwalt: "Ich bin mit dem Urteil sehr zufrieden"

Die Jugendstrafkammer des Berliner Landgerichts ist mit dem Urteil zwar unter den Anträgen der Staatsanwaltschaft geblieben, die für Onur U. fünfeinhalb und für seine Komplizen Haftstrafen zwischen zweieinhalb und drei Jahren gefordert hatte. Doch in der rechtlichen Bewertung schlossen sich die Richter dem Ankläger an. „Ich bin mit dem Urteil sehr zufrieden“, sagte Oberstaatsanwalt von Hagen.

So äußerte sich auch die Nebenklage. „Ich bin froh, dass sie alle Haftstrafen bekommen haben“, sagte Tina K., die 28-jährige Schwester von Jonny K. nur Minuten nach der knapp einstündigen Urteilsbegründung. „Eine gerechte Strafe gibt es nicht, sie sind irgendwann wieder frei, mein Bruder wird nicht wiederkommen.“ Ihr Anwalt Roland Weber nannte den Richterspruch „angemessen, ausgewogen und richtig“. Er hoffe, dass davon ein Signal an jene Jugendliche gehe, die zu Gewalt neigen. „Dass sie erkennen: Der Weg führt direkt in Haft.“

Jonny K. war nach einer Geburtstagsfeier mit Freunden auf dem Heimweg, als sie völlig grundlos attackiert wurden. Die jungen Männer um Onur U. – gebürtige Berliner mit türkischen und griechischen Pässen -  kamen aus einer anderen Bar. Als Jonnys Freund Gerhardt C., 29, gerade einen betrunkenen Kumpel auf einen Stuhl absetzen wollte, rüttelte Onur U. daran. „Ey“ habe Jonny K. gerufen und U. möglicherweise leicht angetippt. „Das haben Sie als Unverschämtheit aufgefasst“, warf Schweckendieck dem mehrfach als Schläger vorbestraften U. vor.

Die Richter folgten damit Angaben von Gerhardt C., der Onur U. als jenen bezeichnet hatte, der erst Jonny geschlagen und dann mit zahlreichen Faustschlägen gegen ihn vorgegangen sei. Den Angaben von C. sei in diesem Punkt zu folgen, hieß es im Urteil. Von Anfang an habe C. gesagt, dass er Stuhlrüttler derjenige war, der als erster zuschlug. Sukzessive hätten sich die Komplizen beteiligt. Es habe auch noch mindestens drei Tritte gegen Jonny K. gegeben, als er bereits am Boden lag. Das Geschehen habe man aber nicht lückenlos aufklären können. Die Angeklagten hätten nicht alles zu ihrer Tatbeteiligung gesagt.

Nach dem Urteil appellierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) an den Senat, Anti-Gewalt-Projekte - ähnlich wie jenes, dass die Schwester des Toten initiiert hat - nicht nur zu fördern, sondern auch zu unterstützen. "Die Jugendarbeit in den Bezirken muss ausgebaut und nicht gekürzt werden", sagte GdP-Landeschef Michael Purper. Er wies darauf hin, dass allein die in den Medien wahrnehmbare Reaktion der Angeklagten während der Hauptverhandlungen zeige, "dass dort kein Bewusstsein für Gewalt vorhanden ist". Dies sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, das nicht die Polizei allein lösen könne, sagt Purper.

Tina K. hatte keinen Prozesstag versäumt. Stets verfolgte sie sehr konzentriert die Beweisaufnahme. Ihre Eltern, so hieß es, hätten keine Kraft, die Verhandlung um den Tod ihres Sohnes zu verfolgen. Doch zum Urteil kam erstmals die Mutter des Getöteten mit. Richter Schweckendieck sprach Mutter und Tochter am Ende der Urteilsbegründung persönlich an. „Ich weiß, dass kein Prozess ihnen den Sohn, Bruder, Freund zurückgeben kann, aber ich hoffe, dass wir ein bisschen zur Aufarbeitung dieses schrecklichen Geschehens beitragen konnten.“

Die Akten aber können nicht geschlossen werden. Der Verteidiger von Onur U. kündigte bereits Revision an. „Das Urteil ist deutlich zu hoch“, sagte Axel Weimann. Es sei auch falsch. Onur U. könne nicht fassen, dass er für etwas verurteilt werden soll, das er nicht getan habe. U. hatte stets erklärt, er habe zwar Gerhardt C. mit zehn bis zwölf Faustschlägen attackiert hatte, Jonny K. aber habe er „nicht berührt nicht einmal gesehen“. Weimann hatte wie alle Verteidiger auf Bewährungsstrafen plädiert. Dass Onur U. beim Urteil grinsend wirkte, sei "ein Zeichen von Fassungslosigkeit“ gewesen.

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