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Internationale Tourismus-Börse in Berlin: Baisse am Bosporus

Die ITB-Stände der Türkei sind weiterhin gut besucht. Doch in das Land reisen wollen immer weniger Deutsche.

Als Erhan Kutlu an seinem Stand auf der Internationalen Tourismus-Börse Berlin (ITB) steht, versteht er bereits die Welt nicht mehr. Er hält die rechte Hand hoch und sagt: „Hat dieser Mann denn keinen Berater an seiner Seite? Einer, der ihm sagt: ,Hey, pass auf, die Deutschen reagieren sehr empfindlich auf dieses Thema’“.

Kutlu, der eigentlich anders heißt, spielt auf den Nazivergleich des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan an. Der Präsident hatte jüngst Deutschland Nazimethoden vorgeworfen, weil türkischen Ministern Wahlkampfauftritte auf deutschem Boden untersagt wurden. „Wir haben über so viele Jahre den Deutschen die Türkei mit tollen Hotelanlagen und grandiosem Service schmackhaft gemacht. Plötzlich zählt das alles nichts mehr“, sagt der 42-Jährige.

2016 gab es knapp 60 Prozent weniger Buchungen in die Türkei

Der studierte Germanist und Marketingleiter eines Beachressorts im sonnigen Kusadasi hat nicht unrecht, wenn es nach den Marktforschern vom GFK geht. Demzufolge sind knapp 60 Prozent der Buchungen in die Türkei 2016 zurückgegangen. Ein herber Schlag für die türkische Wirtschaft, die zu 13 Prozent vom Tourismus abhängt. Es sind dramatische Einbrüche, von denen am Sonnabend auf der Leitmesse der weltweiten Reisebranche aber nichts zu sehen ist. Zumindest nicht auf den ersten Blick.

Die Türkei-Stände in Halle 3.2 auf der Messe Berlin sind gut besucht. Jugendliche, Erwachsene und Senioren huschen vor den Ausstellern hin und her. Es gibt Livemusik auf einem Piano, Kaffee und Cay (türkischer Tee) werden kostenlos ausgeschenkt. Ein 75-jähriger Zehlendorfer findet den Auftritt der Türkei gelungen, die Kultur sei ja ohnehin interessant, aber ein Urlaub in der Türkei? „Nee, das finde ich derzeit ungünstig. Ich finde nicht gut, was gerade in der Türkei politisch passiert“, sagt er.

Die 20-jährige Katja N. aus Hellersdorf wird konkreter: „Die Türkei ist mir als Reiseland im Moment zu undurchschaubar. Dann dieser Nazivorwurf! Ich bin mir nicht sicher, was das türkische Volk über Deutsche denkt. Deshalb verzichte ich erst einmal auf einen Türkei-Urlaub“, sagt sie.

Nils Kühn aus Reinickendorf war das letzte Mal in der Türkei, als Erdogan noch gar nicht an der Macht war. Die politische Krise interessiere ihn als Tourist weniger als die Sicherheitslage. „Das Land ist mir zu nah dran an Syrien, deshalb reise ich lieber in Deutschland“, sagt er. Der 42-Jährige ergänzt aber, dass die Anschläge in Berlin und Paris zeigen würden, dass es auch in Europa keinen Schutz vor Terror gibt.

Anders als Heidrun und Rüdiger Croux auf der ITB verzichten derzeit viele Deutsche auf eine Reise in die Türkei.
Anders als Heidrun und Rüdiger Croux auf der ITB verzichten derzeit viele Deutsche auf eine Reise in die Türkei.

© Doris Spiekermann-Klaas

Touristen bleiben auch wegen der türkischen Politik weg

Der Aussteller Arif Otlu bezweifelt, dass die Touristen wegen der Sicherheitslage wegbleiben. Der 53-Jährige promotet eine Ferienanlage in Patara, einem vom Massentourismus abgelegenen Dorf im Süden der Türkei.Vergangenes Jahr seien dorthin 30 Prozent weniger Touristen gekommen. „Die Deutschen wollen eine Art politisches Statement setzen, deshalb verzichten sie auf Reisen in die Türkei“, sagt er. Otlu hat das Jahr 2017 wirtschaftlich bereits abgeschrieben.

Weg geblieben sind vergangenes Jahr aber nicht nur die Strand-Touristen. Es kamen auch weniger Patienten aus dem Ausland, um sich günstig die Augen lasern zu lassen. Mert Demirsöz, Marketing-Manager von „Dünyagöz“, gibt immerhin an, dass der Tourismus im Gesundheitssektor weniger stark eingebrochen sei. Außerdem sieht er bereits einen Lichtschimmer. „Europäer haben sich über so viele Jahre an die Qualität der Türkei gewöhnt“, sagt Demirsöz. Dann zählt er auf: „Das leckere Essen. Der gute Service. Das Preis-Leistungs-Verhältnis. Die schönen Hotelanlagen, die bei Weitem neuer sind als in Italien. Ich glaube nicht, dass die Deutschen darauf langfristig verzichten werden.“

"Auf den Türkei-Urlaub verzichten, trifft die Falschen"

Gut 100 Meter weiter trinken Heidrun und Rüdiger Croux in der Sitzloge Kaffee. Pamukkale, Ephesos, Kappadokien - das Ehepaar hat in den vergangenen 17 Jahren kaum eine Attraktion in der Türkei ausgelassen. Ihre nächste Reise stehe im Oktober an.

Die Senioren scheinen ihr Geheimrezept für Türkei-Reisen gefunden zu haben: „Wenn man sich nicht in die türkische Politik einmischt oder Diskussionen ins Rollen bringt, kriegt man weder am Strand noch in der Hotelanlage etwas von der Krise mit“, sagt Heidrun Croux. Dann geht die 68-Jährige in sich und sagt: „Ich finde es bedenklich, auf Türkeireisen zu verzichten, um ein politisches Statement zu setzen. Es trifft am Ende nur die Falschen.“

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