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BVG

© Kitty Kleist-Heinrich

Jugendgewalt: "Schnauze, sonst München"

Prügelnde Jugendliche in U- und S-Bahnen, brutale Attacken auf Busfahrer: Es scheint, als wäre der öffentliche Nahverkehr in der Hauptstadt eine ausgewiesene Gefahrenzone. Doch die Berliner bleiben gelassen.

Die Polizeimeldungen kommen immer häufiger. Schläger in U- und S-Bahnen, Beschimpfungen, Beleidigungen, Steinwürfe auf Busse, Angriffe auf die Fahrer und Lokführer - seit einigen Wochen sind Fahrer und Passagiere im öffentlichen Nahverkehr Berlins scheinbar zunehmend einer ständigen Gefahr ausgesetzt. "Schnauze, sonst München" soll nach Angaben der Berliner Polizei in Anspielung auf Münchens U-Bahn-Schläger inzwischen in Berliner Zügen öfter zu hören sein.

Doch die Frage, ob in Bussen und Bahnen der Hauptstadt eine Form der Gesetzlosigkeit wie im New York der späten 80er Jahre besteht, stellt sich Klaus Wazlak von den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) nicht. "Totaler Unsinn", sagt der BVG-Experte. "Wir haben nicht mehr Übergriffe als sonst auch." Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der Gewalttaten sogar zurückgegangen.

BVG: Jeder ist einer zuviel

"Das soll aber nicht heißen, dass wir Vorfälle kleinreden wollen", betont er. "Wir bedauern jeden einzelnen, und jeder ist einer zu viel." Allerdings müsse man das Geschehene in Relationen sehen. "Das Berliner Streckennetz ist so groß wie die Netze von Dresden, Frankfurt am Main und München zusammen", sagt Wazlak. "Bei diesen Dimensionen sind die gemeldeten Vorfälle noch relativ wenige."

Ein Blick in die Zeitungen lässt allerdings anderes vermuten. 51-Jähriger in U-Bahnhof verprügelt, 30-Jähriger in S-Bahnhof zusammengeschlagen, 41-jährigem Busfahrer ins Gesicht geboxt. Prügel- Attacke in Bus: 32-Jähriger verletzt, Lokführer nach Schlägen in S- Bahn krankenhausreif. 28-Jähriger in U-Bahn angegriffen. Dies sind nur einige Beispiele dessen, was sich allein im Januar in Berlins Bussen und Bahnen abgespielt hat.

Zypries auf Entdeckungsfahrt

Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) nahm die zum Teil erschreckenden Geschehnisse und Schlagzeilen ernst. Mitte Januar begab sie sich mit einem Zeitungskolumnisten ("Bild") für eine nächtliche Fahrt zwischen Kreuzberg und Neukölln mit der Linie 8 in den Untergrund. Die Strecke hat den zweifelhaften Ruf, einer der gefährlichsten U-Bahn-Linien Berlins zu sein. Die Ministerin und der Zeitungsmann wurden aber kein Fall für die Statistik.

"Über diese Art von Berichterstattung kann ich nur milde lächeln", sagt BVG-Experte Wazlak. "99 Prozent unserer Fahrgäste kommen sicher ans Ziel." Entwarnung gibt auch die Berliner Polizei. "Berlin ist eine sichere Stadt", sagt Polizeisprecher Bernhard Schodrowski. "Das gilt auch für die öffentlichen Verkehrsmittel." Eine deutliche Zunahme von Gewaltattacken in Bussen und U-Bahnen hat es nach seinem Eindruck in den vergangenen Wochen in der Hauptstadt nicht gegeben. Gesicherte Aussagen seien allerdings erst möglich, wenn in einigen Wochen die neueste Kriminalstatistik für Berlin vorgelegt wird.

Polizei: Gefühlte Zunahme von Gewalt

"Zurzeit gibt es offensichtlich eine gefühlte Zunahme von Gewalt in der Bevölkerung", sagt Schodrowski. Schuld daran sei vor allem der Vorfall in einer Münchener U-Bahnstation im Dezember vergangenen Jahres, bei dem ein 76-Jähriger Rentner von zwei Jugendlichen brutal geschlagen, getreten und schwer verletzt wurde. "Seitdem hat das Interesse der Medien und der Bevölkerung für solche Fälle zugenommen, und sie werden stärker beachtet", berichtet Schodrowski.

Die Psychologie spricht vom Phänomen der "selektiven Wahrnehmung". Nach dramatischen Ereignissen sei das Bewusstsein der Menschen für ähnliche Vorfälle besonders geschärft, sagt Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover. "Weil auch die Medien intensiver über diese Themen berichten, überschätzen die Menschen die tatsächliche Gefahr um ein vielfaches. Mit der Realität hat das aber oft nichts zu tun."

Die Berliner haben sich von den Meldungen der vergangenen Wochen zumindest nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Ich fahre immer noch gerne mit der U-Bahn", sagt auch der ehemalige Regierende Bürgermeister Walter Momper (SPD). Vor kurzem hatten ihn Jugendliche in einem Lebensmittelgeschäft angepöbelt. "Pass auf, sonst geht es dir so wie dem Rentner in München", sollen sie zu ihm gesagt haben, als er sie beim Drängeln an der Kasse zurecht gewiesen hatte. Momper reagiert gelassen: "Davon lasse ich mir keine Angst einjagen."

Silke Katenkamp[dpa]

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