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Kindesmisshandlung: Vernachlässigt, eingesperrt, vergiftet

Ein Vierjähriger überlebte nur knapp eine Morphin-Einnahme. Jetzt stehen seine Mutter und ihr Freund vor Gericht.

Sie stellten den vierjährigen Jungen zwangsweise unter die Dusche. Als das müde Kind schrie, strampelte und sich auf den Boden warf, zerrten sie es zurück zum Wasser. Sie flößten ihm dann Kaffee ein und wiederholten die Dusch-Tortur. „Wir wollten ihn wach halten“, sagte die Mutter gestern vor Gericht. Ihr Sohn habe heimlich eine Morphin-Tablette geschluckt. Die Anklage aber geht davon aus, dass Snezana K. und ihr mitangeklagter Freund Thilo S. dem Jungen das schwere Medikament verabreicht haben, um ihre Ruhe zu haben.

Trotz Erbrechens ließ die Mutter 36 Stunden vergehen, ehe sie Hilfe holte. Ein Sanitäter stellte bei Viktor (Name geändert) eine Körpertemperatur von noch 34 Grad fest. Wenig später traf der Notarzt ein. „Es bestand absolut hochgradige Lebensgefahr“, erinnerte sich der Mediziner an den Einsatz am frühen Morgen des 24. Juni letzten Jahres in der Selchower Straße in Neukölln. Das Kind habe unmittelbar vor einem Atemstillstand gestanden. Auch Hämatome am ganzen Körper fielen den Rettungskräften auf. Im Krankenhaus wurde unter anderem eine Lungenentzündung festgestellt. Derzeit lebt Viktor bei Pflegeeltern.

Ein Fall von massiver Kindesmisshandlung, der sich über Wochen gesteigert haben soll. So sieht es die Staatsanwaltschaft. Um vor dem Kind nachts Ruhe zu haben, sei von außen eine zusätzliche Verriegelung an die Tür gebaut worden. In seinem Zimmer habe Viktor „auf den Resten einer durch Urin- und Kotreste übelriechenden Schaumstoffmatratze“ schlafen müssen. Spielzeug habe es kaum gegeben. Die Mutter habe ihren Sohn nur noch sporadisch in den Kindergarten gebracht, wo er als Integrationskind gefördert wurde. Hilfsangebote wie ergotherapeutische und logopädische Behandlungen ihres Kindes habe Snezana K. abgebrochen.

Die alleinerziehende Mutter hatte im März 2006 den mitangeklagten S. kennengelernt. Der Programmierer ist 21 Jahre älter. Er hatte zuvor Medizin studiert, doch scheint er den Arztberuf nur noch zu verachten. Die Anklage geht davon aus, dass ihm Snezana K. „auch in seiner Ablehnung gegenüber Ärzten und staatlichen Einrichtungen folgte“.

Snezana K. stellte sich vor Gericht als Mutter dar, die immer liebevoll mit ihrem Kind umgegangen sei. Viktor sei allerdings nicht immer einfach gewesen. „Er hielt sich auch nicht daran, dass er bestimmte Dinge nicht durfte“, sagte sie. Einmal habe er beispielsweise das Handy von Thilo S. in die Toilette geworfen. Er sei nachts auch oft durch die Wohnung gestromert. Sie habe einen Riegel an der Kinderzimmertür angebracht, um ihn vor gefährlichen Situationen zu schützen.

„Der Junge ist in seinem ganzen Leben nicht geschlagen worden“, hieß es in Erklärungen, die die Verteidiger verlasen. Die Morphin-Tablette müsse Viktor aus dem Rucksack von S. genommen haben. „Nach meinen Erfahrungen lässt die Wirkung nach zwölf Stunden nach“, habe S. der Mutter erklärt. Man müsse den Jungen in dieser Zeit wach halten, sei sein Rat gewesen. „Die Folterung ist eine pure Fantasie des Staatsanwalts“, konterte Thilo S. und kündigte an, dass er die „schändliche Anklage“ widerlegen werde. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

Kerstin Gehrke

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