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Jugendkriminalität: Kriminelle Kinder: Politik will Anstifter härter bestrafen

Innerhalb von wenigen Tagen hat die Berliner Polizei zwei Mal dieselben Jungen beim Drogenverkauf erwischt. Die elf- und zwölfjährigen Dealer sind nicht strafmündig. Die Jugendämter fühlen sich überfordert. "Die Zustände erinnern an die Bronx", sagt die SPD-Politikerin Bilkay Öney.

Sie bieten ihre Ware an Straßenecken, in Parks und U-Bahnhöfen feil: Heroin, Kokain oder auch gemischten Stoff. Die Dealer mit den harten Drogen fallen dabei nicht auf, sie sind noch Kinder. Halbwüchsige als Teil der Organisierten Kriminalität sind ein Phänomen, mit dem sich Berlin derzeit auseinandersetzen muss: Innerhalb von wenigen Tagen hat die Polizei gleich zwei Mal, wie berichtet, dieselben elf- und zwölfjährigen Jungen beim Drogenverkauf erwischt. Etwas dagegen tun kann sie nicht. Unter 14-Jährige sind nicht strafmündig. Sie werden zu Hause oder in der Jugendeinrichtung abgegeben, je nachdem, wo sie wohnen. Die Polizei ist nicht weiter zuständig. Doch auch die Zuständigen wirken beim Umgang mit dealenden Kindern ratlos.

CDU-Chef Frank Henkel, der sich für eine Herabsetzung der Strafmündigkeit von 14 auf 12 Jahre ausspricht, sieht in diesem Fall keinen Nutzen darin. „Bei Elf- oder Zehnjährigen hört es auf“, sagt er. Hier müssten sich die verantwortlichen Stellen zusammensetzen und schnell reagieren. Die jugendpolitische Sprecherin der CDU, Emine Demirbüken-Wegner, macht die Kürzungen des Senats bei der „präventiven Arbeit“ verantwortlich. „Die größten Einschnitte haben wir bei Familienmaßnahmen“, sagt sie. Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern seien schon früh zu bemerken, doch um angemessen zu reagieren, fehle es vorne und hinten an Geld. Tatsächlich stellt der Senat für die sogenannten „Hilfen zur Erziehung“, die von den Jugendämtern der Bezirke geleistet werden, in diesem Jahr 25 Millionen Euro weniger bereit.

SPD-Politikerin Bilkay Öney sieht hier eher ein grundlegendes Problem: „Dass Kinder dealen, ist in Berlin leider nichts Neues“, sagt die Expertin für Innenpolitik. Und sie seien nicht etwa von organisierten Verbrechern aus dem Ausland eingeschleust, „wir haben in Berlin genug arme Kinder, die das machen“. Zu viele würden hier bereits im kriminellen Milieu aufwachsen, hätten Brüder, die mit Drogen handeln. „In manchen Vierteln herrschen Zustände, die vergleichbar sind mit der Bronx“, sagt Öney. „Das Problem ist Kinderarmut, nicht, weil die Kinder am Hungertuch nagen, aber sie kriegen die gewünschten Nike-Schuhe nicht von ihren Eltern.“ Drogenhandel sei für einige die einzige Quelle für Taschengeld.

Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) hält an der Strafmündigkeit mit 14 Jahren fest. Den Kindern könne man nur mit Erziehungsmaßnamen beikommen. Zudem sei es wichtig, „dass Erwachsene angemessen bestraft werden, die Kinder für ihre kriminellen Handlungen missbrauchen“, sagt sie. Sebastian Czaja, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, ist ebenfalls dafür, die Konsequenzen bei den Erwachsenen zu ziehen. Ginge es nach der FDP, müssten den Eltern sofort die Kinder vom Jugendamt entzogen werden. „Sofern sich zu Hause Hinweise auf organisierte Kriminalität erhärten, muss bei ausländischen Eltern auch über ihre Ausweisung nachgedacht werden“, sagt der FDP-Abgeordnete weiter. Er bezieht sich dabei auf den aktuellen Fall, bei dem die beiden dealenden Kinder aus arabischen Familien stammen, eines von beiden ist laut Polizei staatenlos.

Beim bisher üblichen Verfahren kann das Jugendamt jedoch nicht sofort einschreiten: Die Polizei gibt die Kinder bei den Erziehungsberechtigten ab, schreibt einen Vermerk und benachrichtigt das Jugendamt. „Wenn das bei uns eingeht, läuft der Fall unter Kinderschutz weiter“, erklärt Wolfgang Mohns, der Leiter des Jugendamts Tempelhof-Schöneberg.

Das heißt, das Jugendamt schickt zwei Mitarbeiter zu den Eltern nach Hause und prüft, inwieweit das Kind gefährdet ist. Wenn nötig, leitet das Jugendamt den Fall an das Familiengericht weiter, um den Eltern das Kind zu entziehen und in eine Einrichtung zu bringen. Einer der beiden Nachwuchsdealer, der diese Woche er-wischt wurde, ist bereits in einer solchen Einrichtung. Doch von dort kann er jederzeit wieder losziehen und Drogen verkaufen. Geschlossene Heime für Kinder gibt es in Berlin nicht.

Auch Mohns plädiert für präventive Maßnahmen: „Wenn wir eingreifen, ist es eigentlich schon zu spät für die Kinder“, sagt er. Die Karriere zum Intensivtäter sei bei Kindern im Grunde sicher, wenn man nicht sofort reagiert. Doch das Reagieren fällt den Jugendämtern schwer: „Bei uns stapeln sich die Akten und Vermerke“, sagt Mohns. Es fehlt an Mitarbeitern. Ob die Zahl der kriminellen Kleinen gestiegen ist, vermag der Jugendamtsleiter nicht zu sagen. „Wir haben schon seit Jahren immer wieder straffällig werdende Kinder.“ Doch lange gab es keine Antwort darauf.

Erst seit einem Jahr gibt es in seiner Behörde und im Neuköllner Amt das Stopp-Projekt, bei dem die Täter und die Familie ein Jahr intensiv betreut werden. „Das klappt wirklich gut“, sagt Mohns, allerdings könne man damit derzeit nicht angeben. Der Trägerverein ist die in Verruf geratene Treberhilfe.

Ferda Ataman

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