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Mann enthauptete Ehefrau: Die Folgen einer Nacht

Nach der bestialischen Tötung einer 30-jährigen Frau in Kreuzberg haben die Anwohner Probleme, die Geschehnisse zu verarbeiten. Wie die Menschen in der Köthener Straße mit der schreckliche Bluttat umgehen.

Von Sandra Dassler

Es war ein Kind, das Claudia Held über eines der schlimmsten Verbrechen in Berlin informierte: „Er hat sie erstochen und den Kopf auf den Hof geworfen“, erzählte ihr der Neunjährige, als er am vergangenen Montag in die St. Lukaskirche der Stadtmission in Kreuzberg kam. Claudia Held betreut hier am Anhalter Bahnhof viele Kinder und kennt auch ihre Mütter.

Vor zehn Tagen tötete ein paar Häuser weiter, in der Köthener Straße, der nach bisherigen Erkenntnissen psychisch kranke 32-jährige Orhan S. seine zwei Jahre jüngere Frau und verstümmelte sie.

Während die jüngeren Kinder im Kiez das Geschehen in seiner Tragweite gar nicht begreifen, haben alle anderen hier große Probleme, die schreckliche Tat zu verarbeiten, erzählt Claudia Held. „Wir merken erst jetzt, dass diese Tat mit jedem von uns etwas macht“, sagt auch die Kreuzberger Familienstadträtin Monika Herrmann. Sie hat deshalb an diesem Dienstag in die St. Lukaskirche zu einer Informationsveranstaltung für die Anwohner der Köthener Straße eingeladen.

Eine Frau erzählt, dass sie gekommen ist, weil sie nicht weiß, wie sie ihren drei Kindern helfen soll. Die sind zwischen zwölf und 19 Jahre alt und hätten alles mitbekommen, sagt sie. Ihr vom dunklen Kopftuch umrahmtes Gesicht wirkt fast kindlich, obwohl sie fast vierzig ist. „Wir wollen jetzt umziehen“, sagt sie: „Wir wohnen in dem Haus, in dem es passiert ist, da kann man nicht mehr leben.“

Auch andere Frauen erzählen von Familien, die aus dem Haus wegwollen. „Bei uns ist eine Frau, deren Kinder nicht mehr allein im Zimmer schlafen, weil sie solche Angst haben“, erzählt eine Kreuzberger Stadtteilmutter.

Kadir Kaynak ist gekommen, um die Mütter zu beraten. Er arbeitet als Psychotherapeut und hat viel zu tun. „Es gibt in Berlin zu wenige muttersprachliche Angebote auf diesem Gebiet“, sagt er: „Meine Türkisch oder Arabisch sprechenden Kollegen bekommen jede Woche zehn bis fünfzehn neue Patienten hinzu.“

Die Informationsveranstaltung besuchen vor allem Frauen, wobei viele Betroffene nicht kommen konnten, weil in der Schule ihrer Kinder ein Grillfest stattfindet. „Wir werden das Angebot noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen“, sagt Monika Herrmann: „Auch weil es wichtig ist, dass Frauen wissen, wo sie Hilfe erhalten können. Dass hier das deutsche Scheidungsrecht gilt. Oder dass die Kinder nicht automatisch in die Familie des Mannes kommen.“

Die sechs Kinder der getöteten Semanur S. seien nach wie vor gemeinsam in einem Heim untergebracht, wo sie psychologisch betreut werden, sagt Herrmann. Zur Schule gehen die Älteren derzeit nicht. Auch dort gab es viel Trauer, erzählt die Schulpsychologin Tine Wimmer. „Wir haben mit den Lehrern besprochen, wie sie es den Kindern mitteilen, und alle Eltern haben einen Brief erhalten.“ In der Klasse des ältesten Sohnes war Tine Wimmer selbst. Die Schüler wollten wissen, wie es ihrem Klassenkameraden geht und ob er wiederkommen wird. Aber darauf weiß noch keiner eine Antwort.

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