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Andere Apotheker fürchten, dass einige wenige Schwarze Schafe nun die ganze Apotheker-Zunft in Misskredit bringen.

© dpa

Medikamentenbetrug: Apotheker schweigt zu Millionenbetrug

Während seine Helfer geständig sind, sagt der wegen Betrugs festgenommene Apotheker lieber gar nichts. Und auch die Staatsanwaltschaft hält sich bedeckt - wie die Behörden dem Betrug auf die Spur kamen, wollte sie bisher nicht sagen.

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Der am Donnerstag wegen Verdachts auf Betrug mit HIV-Medikamenten verhaftete Berliner Apotheker schweigt bisher zu den Vorwürfen. Der 66-Jährige sitze ebenso wie ein HIV-Patient aus Kiel in Untersuchungshaft, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, dem Tagesspiegel: „Die anderen sechs HIV-Infizierten wurden wegen ihres Gesundheitsszustands von der Haft verschont, auch weil sie meist geständig sind.“

Wie berichtet, sollen sich die HIV-Infizierten bei verschiedenen Ärzten weitaus mehr Rezepte erschlichen haben, als sie benötigten und diese an den Apotheker am Kurfürstendamm „verkauft“ haben. „Der gab ihnen dafür zwischen 300 und 800 Euro, rechnete aber durchschnittlich 2000 Euro je Rezept bei den Kassen ab“, sagte Steltner. Allein mit dem HIV-Patienten aus Kiel sei so ein Schaden von 80 000 Euro entstanden. Insgesamt gehen die Ermittler von einem Schaden von rund zehn Millionen Euro in den Jahren 2007 bis 2009 aus.

Wie die Behörden dem Betrug auf die Spur kamen, wollte Steltner nicht sagen. Tagesspiegel-Recherchen ergaben, dass das Risiko für den Apotheker, erwischt zu werden, relativ gering war. Eine leitende Mitarbeiterin einer Krankenkasse sagte: „Man muss als Apotheker mit der Abrechnung nicht ausgehändigter Medikamente arg übertreiben, bis Versicherungen so etwas merken.“ Wer nur gelegentlich betrüge, falle nicht auf, weil die Kassen keinen Anfangsverdacht hätten.

Mehr noch: „Die Krankenkassen dürfen persönliche Daten laut Sozialgesetzbuch nur zu bestimmten Zwecken, aber niemals generell zusammenführen und speichern“, sagt Birger Rostalski, Arzneimittelreferent beim Verband der Ersatzkassen (vdek). Wie viele und welche Rezepte sich ein Patient ausstellen lasse, falle unter den Datenschutz. „Nur wenn ein Betrugsverdacht besteht oder ein medizinisches Gutachten beispielsweise für eine Kur erstellt wird, werden alle Behandlungsdaten für eine Person zusammengeführt“, sagt Rostalski. Dann würde man natürlich sofort sehen, wenn sich ein Patient unverhältnismäßig viel Rezepte hat verschreiben lassen.

Rostalski, von Haus aus selbst Apotheker, findet den aktuellen Fall besonders schlimm, weil „einige wenige Schwarze Schafe die ganze Apothekerzunft in Misskredit bringen“. Allerdings will er auch die beteiligten Ärzte nicht ganz aus der Verantwortung entlassen. „Jeder Arzt ist laut der Arzneimittelrichtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses von Ärzten, Zahnärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen verpflichtet, sich vor Ausstellung eines Rezepts ein Bild von dem Patienten zu machen“, sagt er. Es müsse doch auffallen, wenn ein HIV-Patient, der eigentlich in Berlin wohnt, plötzlich von einem Arzt in Kiel ein Rezept will.

Zumindest würde man dann doch nach dem eigentlich behandelnden Arzt fragen, diesen auch kontaktieren oder selbst eine Diagnose stellen, meint Rostalski: „HIV ist ja eine chronische Erkrankung und selbst wenn ein Patient erzählt, er habe die Medikamente vergessen, würde ein fremder Arzt dann nicht gleich die Menge für einen ganzen Monat oder gar ein Vierteljahr verschreiben.“

Kenner der Szene gehen davon aus, dass derartiger Rezeptbetrug in der Drogenszene häufiger vorkommt. Mehrere Apotheker berichteten dem Tagesspiegel, dass man etwa am Kottbusser Tor offen Rezepte für HIV-Präparate von Betroffenen kaufen könne. „Es gibt HIV-Patienten, die verkaufen ihre ordnungsgemäß bekommenen Verschreibungen für Präparate im Wert von insgesamt 1000 Euro für 500 Euro innerhalb des Milieus“, sagte ein szenekundiger Rechtsanwalt: „Am Ende landen die Rezepte natürlich bei Leuten, die damit Geld machen können, und das sind Apotheker.“

Rund um die Drogenszene wird mit solchen Verschreibungen gehandelt, weil Heroinsüchtige immer noch einen großen Teil der HIV-Patienten ausmachen. Bei einigen von ihnen sei das Verlangen nach schnellem Bargeld für Heroin stärker als die Disziplin, regelmäßig verschriebene Medikamente zu nehmen. S. Dassler, H. Heine, F. Piazena

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