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Patronenhülse aus einer Dienstwaffe - wenn Polizisten schießen, ermittelt die Mordkommission.

© dpa

Nach Einsatz in Wedding: Justiz prüft Video zu Schüssen der Polizei

Die Staatsanwaltschaft wertet jetzt ungeschnittene Aufnahmen des Einsatzes gegen bewaffneten Mann aus.

Videobilder sollen Klarheit über den Vorfall in Wedding bringen, bei dem Polizisten am Wochenende auf einen mit Axt und Messern bewaffneten Mann geschossen und ihn schwer verletzt haben. Die Staatsanwaltschaft wertet derzeit Aufnahmen aus, die ein Unbeteiligter gemacht hatte. Zudem würden weitere Zeugen vernommen, bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Justiz ermittelt gegen zwei Polizisten wegen versuchten Totschlags sowie gegen den 50-Jährigen wegen Bedrohung.

Erkenntnisse erhofft sich die Justiz jetzt von der ungeschnitten Version des Videos. Im Internet war der Film bislang nur bearbeitet in nicht ganz chronologischer Reihenfolge zu sehen. Er zeigt unter anderem, wie mehrere Polizisten dem Gewaltbereiten mehrfach ins Bein schießen, ihn mit Pfefferspray besprühen und ihm – als er immer noch nicht aufgibt – einmal in den Nacken treten und einen Diensthund auf ihn loslassen. Dem Vernehmen nach sollen mehr als acht Schüsse gefallen sein – davon aber auch einige Warnschüsse.

Nach dem Einsatz sah sich die Polizei mit teilweise heftiger Kritik konfrontiert. So stellt sich die Frage, warum nicht das Spezialeinsatzkommando (SEK) alarmiert wurde, das speziell für solche Einsatzlagen geschult ist. Wegen der laufenden Ermittlungen wollte sich ein Polizeisprecher dazu nicht offiziell äußern.

Doch wie ein hochrangiger Ermittler erklärte, sei die Zeit viel zu knapp gewesen. Der Bewaffnete habe eine erhebliche Gefahr dargestellt. „Sollen die Beamten erst auf das SEK warten, das vom Augustaplatz in Lichterfelde anrückt?“ Die Strategie bei solchen Einsätzen sei nach Amokläufen geändert worden. Die Polizei habe aus den Taten folgende Lehre gezogen: Wenn unmittelbare Gefahr durch einen Bewaffneten besteht, dann muss die Polizei sofort einschreiten, um Schlimmeres zu verhindern – anstatt lediglich den Tatort abzusperren und auf die Spezialkräfte zu warten. Wichtig sei in einem Fall wie diesem, die Gefahr „sofort zu beenden“, sagt der Ermittler. „Wenn die Beamten auf das SEK gewartet hätten, dann hätte es wieder heißen: Die Polizei sah tatenlos zu“. Grundsätzlich werde das SEK aber immer dann geholt, „wenn es Hinweise gibt, dass jemand gewalttätig oder im Besitz von Waffen oder Sprengstoff ist“. Klassische Einsätze seien beispielsweise Wohnungsdurchsuchungen bei Rockern oder Vorfälle, bei denen ein Täter eine Geisel in seiner Gewalt hat. Auch über Elektroimpulsgeräte – Taser genannt - verfügt nur das SEK. Vier dieser Geräte sind im Besitz der Spezialkräfte. Sie werden seit nunmehr elf Jahren in Berlin getestet.

Rätsel gibt der Polizei allerdings die Tatsache auf, dass der 50-Jährige trotz mehrerer Schüsse nicht daran gehindert werden konnte, weiter mit den Messern herumzufuchteln. Denn alle Berliner Polizisten nutzen seit einigen Jahren die sogenannte Mannstoppmunition: Die Energie des Geschosses im Körper wird abgeleitet, das Geschoss spaltet sich auf und soll den Getroffenen handlungsunfähig machen. Davor benutzte die Polizei sogenannte Vollmantelgeschosse, deren Projektile oft den Körper des Getroffenen durchschlugen und andere Menschen gefährdeten – und obendrein den Beschossenen nicht stoppten. Auch gegen wild gewordene Hunde war mit dieser Munition nichts auszurichten. Obwohl verletzt, wüteten die Tiere weiter.

Im Weddinger Fall gibt es aber noch weitere Theorien: „Vielleicht stand der Mann unter Einfluss von Schmerzmitteln“, sagt ein Ermittler. Ob der 50-Jährige Drogen, Alkohol oder Medikamente genommen hatte, ist laut Staatsanwaltschaft noch nicht bekannt.

Bei Einsätzen handelt die Polizei bei der Ausübung öffentlicher Gewalt nach dem „unmittelbaren Zwangsgesetz“. Dabei gelten Schlagstock, Pfefferspray und Hund als „Hilfsmittel körperlicher Gewalt“, die in der Regel als Erstes zum Einsatz kommen. Wenn das nichts mehr bringt, kann die Schusswaffe eingesetzt werden, um den Täter „angriffs- oder fluchtunfähig“ zu schießen.

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