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Präventions-Projekt: Für Spandau auf Streife

Was tun gegen Gewalt? Ein Projekt in Berlin-Spandau mit Raed Saleh bringt Polizei und Jugendliche zusammen Sie übernehmen selber Verantwortung – und gehen nachts auf die Straße.

Als die Gewalt ausbrach, war da nur Ratlosigkeit. Polizeiwagen, Blaulicht, Sirenen. Hauptkommissar Detlef Mischorr, 59, sagt: „Das war eine schlimme Nacht.“ Rund 50 Jugendliche waren im Januar pöbelnd und prügelnd durch den Bezirk gelaufen, erinnert er sich, erst im Einkaufszentrum „Spandau-Arcaden“, dann in der Altstadt, später in der Neustadt, schließlich im Falkenhagener Feld. „Wir wussten: Wir müssen handeln“, sagt Mischorr. Nicht mit den gängigen Mitteln, nicht nur mit Schlagstöcken.

Ein halbes Jahr später sitzt der Präventionsbeauftragte der Spandauer Polizei neben dem SPD-Abgeordneten Raed Saleh. „Wir haben die Polizei und Jugendliche an einen Tisch gebracht“, sagt Saleh, 30 Jahre alt, Migrationshintergrund. Geboren in Palästina, das sechste von neun Kindern, groß geworden in Spandau. Nach dem Abitur hat er zwölf Jahre die „Burger-King“-Filiale mitten in der Altstadt geführt. Auch von daher schüttelt er viele junge Hände, wenn er über die Straßen läuft. Saleh sagt: „Ich will aus Spandau nicht wegziehen.“ Aber er würde gern in einem anderen Spandau leben.

Nun organisieren Saleh und Mischorr Volleyballspiele mit der Polizei, Nachtwanderungen, Grillabende, Jugendliche dürfen den Polizeisportplatz benutzen und ihr Sportabzeichen ablegen – und sie gehen auf Patrouille. „Kiezstreife“ nennt sich das dann: Vier Jugendliche, 18 bis 21 Jahre alt, sowie ein Polizist sind ein Team, ziehen los und quatschen mit Jugendlichen. 50 junge Leute sind dabei, die Jungs tragen graue Kapuzenpullover, auf denen „Stark ohne Gewalt“ steht, und sie tragen endlich Verantwortung. Gestern Nacht sind sie wieder unterwegs gewesen.

Als Spandaus Sozialstadtrat Martin Matz (SPD) vor kurzem seinen Bezirk als sozial problematisch bezeichnete und mit Neukölln und Friedrichshain-Kreuzberg verglich und nicht wie üblich mit Steglitz-Zehlendorf, reagierten Politiker von CDU und FDP empört. Es war dieselbe Empörung, die aufkam, als Innensenator Ehrhart Körting (SPD) im Frühjahr 2004 gleich vier Problemkieze in Spandau benannte – von neun in der gesamten Stadt.

„Mit ein bisschen Abstand: Stimmte es nicht doch ein bisschen?“, fragt Saleh. Falkenhagener Feld, die Neustadt, das Quartier Heerstraße Nord, seit neuestem auch die Wilhelmstadt, wo auf einmal sogar das Geld fehlt für ein Fest, das es jedes Jahr gab und auf das sich die Anwohner freuten. Saleh rattert die Fakten runter: 23 Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Jedes zweite Kind, das in Spandau zur Welt komme, habe einen Migrationshintergrund. Viele Insolvenzen, zahlungsunfähige Verbraucher, geringes Bildungsniveau. Und während die Arbeitslosenquote in Berlin bei 15,9 Prozent liegt, beträgt sie in Spandau 17,6 Prozent. „Warum tun wir uns so schwer, die Probleme zu benennen?“, sagt Saleh.

Es geht auch nicht nur um Fakten, es geht auch um ein Gefühl. Bezirksbürgermeister Konrad Birkholz (CDU) ist ein netter Kerl mit einem imposanten Schnauzbart. Er ist seit 1995 im Amt, er hat stets einen kernigen Spruch auf den Lippen, egal ob nun beim Imchenfest in Kladow oder auf dem Markt in der Altstadt. Die Menschen plaudern gern mit Birkholz, er strahlt Nähe aus – „doch was kommt eigentlich an politischen Botschaften für die gesamte Stadt aus Spandau?“, fragen Abgeordnete.

Spandau hat 217 000 Einwohner, also mehr als Kassel und Freiburg. Während sich Berlin aber grundlegend umgekrempelt hat seit dem Mauerfall, scheint der flächenmäßig viertgrößte Bezirk Berlins stehen geblieben. Fast schon legendär ist die Bauruine „Spandauer Tor“, eine Illusion der geplante Tivoli-Park in der Jungfernheide und auch der Yachthafen anstelle der alten Post. Klar, es gibt so viele große Industriebetriebe wie in keinem anderen Bezirk – aber was soll ein junges, flexibles Unternehmen reizen, nach Spandau zu ziehen, wenn der nächste Flughafen BBI heißt und 36 Kilometer entfernt liegt? Davor warnen nicht nur Spandauer Unternehmer, die eher der CDU nahestehen.

2000 Menschen verliert der Bezirk jedes Jahr durch Wegzug. Viele junge Familien und Rentner schwärmen von der grünen Lage in Falkensee hinterm Stadtrand; andere zieht es in die neue Wasserstadt oder nach Kladow und Gatow, diesem langen, grünen Zipfel im Süden des Bezirks. 23 000 Ausländer leben in Spandau – in Kladow und Gatow sind es gerade mal 645. Die anderen konzentrieren sich im Bezirkszentrum.

Gut, in diesen Tagen kommen viele nach Spandau. Dort hat die Agentur Trinity – aus Schöneberg – ein Musikfestival in der Zitadelle auf die Beine gestellt und populäre Künstler wie Silbermond, Mando Diao, Bap oder Bushido eingeladen. Danach aber geht es sofort wieder zurück. Spandaus Altstadt ist in den Abendstunden begrenzt attraktiv. Es gibt wenige Clubs und Bars, aber viele gemütliche Pinten, die den Charme von Flipperautomat, Gardinchen und Mettwurststulle versprühen. „Warum gibt es in Spandau keine Barmeile?“, fragen Jugendliche seit langem. Und wenn Polizisten über die Havel sprechen, die sich durch den Bezirk schlängelt, dann reden sie nicht über Strandbars, Liegestühle und klassische Musik wie in anderen Bezirken, sie reden von Schlägereien in der Dunkelheit.

Dennoch, kleine Projekte sollen Mut machen. Neulich haben der Präventionsbeauftragte Mischorr und der Politiker Saleh einen Wirtschaftsingenieur zum Treff mit den Jugendlichen eingeladen. Der ist in der Lynarstraße groß geworden, einem früher gefürchteten Kiez, und er hat es trotzdem geschafft.

Die Jugend braucht Vorbilder, deshalb arbeiten sie jetzt auch mit einer Moschee zusammen, mit Jugendklubs, in zwei Wochen gehen sie zu den vielen jungen Russlanddeutschen. Auch denen müsse man das Gefühl geben, dass sie nicht nur als Gefahr gesehen würden. André Görke

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