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Besucher des Tages der offenen Tür des Landgerichtes in Berlin stehen am Samstag (10.06.2006) im Gerichtssaal. Am Dienstag begann hier der Prozess gegen zwei frühere Heimerzieherinnen, die sechs Mädchen misshandelt haben sollen.

© dpa

Prozess gegen Erzieherinnen: Heimkinder mit Reitgerte und Nadeln gequält?

Zwei frühere Heimerzieherinnen stehen in Berlin vor dem Landgericht, weil sie sechs Mädchen gequält und misshandelt haben sollen. Zum Prozessauftakt am Mittwoch verweigerten die Frauen die Aussage.

Beim ersten Frühstück mit den sechs Kindern der Wohngruppe lief es der Zeugin kalt über den Rücken. „Ich dachte entsetzt: Was passiert hier?" sagte sie vor dem Landgericht. „Klara aß zu langsam, sie musste aufstehen. Susi zappelte mit dem Fuß, sie bekam einen Tritt gegen das Schienbein“, listete die 32-jährige Frau auf. „Und einem Kind schlug sie mit dem Brotmesser auf die Hand.“ Es fiel der Zeugin schwer. Sie weinte. Sie ist Erzieherin und war für kurze Zeit die neue Kollegin der beiden Frauen auf der Anklagebank.

Schier unglaublich sind die Vorwürfe, um die es seit Mittwoch geht. Über Monate hinweg sollen zwei Mitarbeiterinnen eines Kinder- und Jugendheimes die sechs Mädchen, die sie damals betreuten, gedemütigt und gequält haben. Die Kinder waren anfangs fünf bis zwölf Jahre alt, darunter vier Schwestern. Sie kamen aus schwierigen Verhältnissen. „Eigentlich ruhige Kinder“, sagte eine andere Zeugin. Die 42- und 44-jährigen Angeklagten sollen ihre Schützlinge von September 2008 bis Februar 2009 malträtiert haben.

Elf Übergriffe sind aufgelistet, fünf sollen von der einen, sechs von der anderen Erzieherin begangen worden sein. „Sie schlug die Geschädigte L. mit der flachen Hand ins Gesicht und auf die Oberarme und stach sie mit Pinnwandnadeln in Arme und Beine“, wirft die Staatsanwaltschaft der Jüngeren vor. Und: „Sie schlug die Geschädigte W. mit einer Reitgerte ins Gesicht und auf den Rücken.“ Außerdem sollen die Frauen die Mädchen mit Einwegspritzen gestochen haben. „In allen Fällen verspürten die Geschädigten deutliche Schmerzen“, so die Anklage.

Die beiden Erzieherinnen, korpulente Frauen mit gefärbten Haaren, warfen sich hin und wieder Blicke zu. Unverständnis lag darin und demonstrative Empörung über Aussagen der Zeuginnen. Im März 2009 hatte sich die Mutter eines der Mädchen bei der Polizei gemeldet. Doch da waren bereits die letzten Tage der Erzieherinnen, die zumindest bei jüngeren Kolleginnen als Verfechterinnen eines unvertretbar strengen Regimes galten, angebrochen. Andere Mitarbeiterinnen hatten sich an die Leitung der Einrichtung des Diakonischen Werkes gewandt. Fast zeitgleich soll auch von dort Strafanzeige erstattet worden sein.

„Die Mädchen wurden gezerrt, geschubst, beleidigt“, sagte eine 25-jährige Zeugin. Auffallend sei ein „extrem devotes Verhalten“ der Kinder gegenüber den beiden Angeklagten gewesen. „Sie fragten mit gesenktem Kopf, ob sie auf die Toilette dürften. Sie hatten Angst.“ Sie hätten beim Essen nicht geschnattert und ihre Bettdecken auf Kante gefaltet. „Da lag auch kein Spielzeug rum“, sagte die Hauswirtschaftlerin. „Wer kleckerte, der musste sich mit seinem Teller in den Flur stellen.“ Als die Erzieherinnen suspendiert waren, so eine Zeugin, hätten sich die Kinder nach und nach geöffnet und von einer Reitgerte, Schlägen sowie angeblichen Quälereien mit Nadeln gesprochen. Erwachsene Zeugen gibt es dafür nicht. Es wird mit einer schwierigen Beweisaufnahme gerechnet. Der Prozess geht Mittwoch weiter.

Kerstin Gehkre

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