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Wieder zusammen. Zehn Monate dauerte es, bis der kleine Hassan seine Mutter wiedersah. Der Vater hatte das Kind in den Libanon gebracht.

© Wolfgang Mrotzkowski

Prozess: „Mama, du musst mich holen!“

Die Mutter glaubte den Sohn verloren. Der Vater hatte das Kind in den Libanon geschickt. Der Prozess endete mit einer Überraschung.

Die Mutter stand in der Tür des Gerichtssaales, Tränen in den Augen. Dann war er da, der Moment, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Hassan, fünf Jahre alt, vor zehn Monaten vom eigenen Vater heimlich in ein Flugzeug gesetzt und in den Libanon geschickt, ist wieder da. Es war 11.16 Uhr, als ihn seine Mutter am Donnerstag in ihre Arme schloss. Sichtlich froh war Hassan – und müde. Er war am Abend zuvor wieder allein geflogen. Von Beirut über Frankfurt nach Berlin. Nach Hause.

Hassan lebte zehn Monate lang bei seiner Großmutter im Libanon. Weil Nabih S., sein Vater, das so wollte. Im Trennungsstreit mit seiner Frau hatte er sich für eine Kindesentziehung entschieden. Das Land und die Verwandten waren dem Jungen völlig fremd. Seine Mutter saß verzweifelt in Berlin. S. habe das Ende der Beziehung nicht akzeptieren wollen, sagte die Anklägerin. „Der Junge war das größte Druckmittel." Er werde Hassan zurückholen, wenn die Mutter ihm noch eine Chance gebe, soll er Katarzyna S. vorgeschlagen haben. Sie ging nicht darauf ein. Aber es gab ein gemeinsames Sorgerecht und sie hatte immer unterstützt, dass Hassan auch nach der Trennung einen guten Kontakt zum Vater hat. „Desto schlimmer war die Entführung des Kindes“, sagte ihre Anwältin. „Sie war sich nicht bewusst, dass so etwas passieren könnte.“

Am 30. Juni machten sich Vater und Sohn in Neukölln zu einem Spielnachmittag auf den Weg. Katarzyna S. rief gegen 18 Uhr an und hörte, dass S. mit dem Kleinen bei einem Bruder übernachten wolle. Er werde das Kind am nächsten Morgen bringen, soll er ihr versprochen haben. Sie war fassungslos, als er ohne Kind vor ihr stand. „Er lachte und sagte, Hassan sei im Libanon“, beschrieb sie.

„Die Mutter wurde in einem ständigen Wechselbad der Gefühle gehalten“, stand für die Staatsanwältin fest. Ihr sei eine Rückkehr des Jungen im Sommer in Aussicht gestellt worden. Sie habe auch eine Vollmacht, die angeblich notwendig war, damit ihr Sohn zurückkehren könne. Sie konnte am Anfang noch mit ihm telefonieren. Er habe geweint und gebettelt: „Du musst kommen und mich holen.“ Dann war nur noch die Großmutter am Telefon. Nach Version von Nabih S. allerdings hielt sich Hassan mit Zustimmung der Mutter bei den Verwandten im Libanon auf.

Die 26-jährige Katarzyna S., eine gebürtige Polin, und der 23-jährige Libanese Nabih S. waren nach islamischem Recht verheiratet. Eine zunächst glückliche Beziehung, sagte die Frau. Ihr Ex-Mann habe ihr sehr geholfen. Doch im Alltag kamen die Probleme. Es kam zur Trennung und schließlich zu einem Verfahren vor dem Familiengericht. Als Hassan im Libanon verschwand, ging seine Mutter in ein Frauenhaus. Im Februar konnte eine Berliner Familienrichterin mit Hassan telefonieren. Ein Dolmetscher half. „Aus dem Hintergrund kam, er dürfe nicht deutsch sprechen“, sagte die Anklägerin. Und die Großmutter habe schließlich erklärt: „Das Kind gehört jetzt mir.“ Selten gibt es in ähnlichen Strafprozessen ein glückliches Ende. Dass Hassan nun im Gerichtssaal stand, sei Nabih S. hoch anzurechnen. Sein Verteidiger hatte Kontakte zur Familie im Libanon aufgenommen, viele Gespräche geführt. Hassans Rückkehr wirkte sich erheblich strafmildernd aus: Wegen der schweren Entziehung Minderjähriger bekam der Vater ein Jahr und neun Monate Haft auf Bewährung.

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