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Prozess: Taschenraub endete tödlich – 16-Jähriger steht vor Gericht

Zwei Jugendliche überfielen eine Rentnerin - sie starb an Folgen des Sturzes. Vor allem ältere Menschen werden zu Opfern. Die Polizei setzt auf Prävention.

Es waren nur ein paar Euro, erbeutet von zwei jugendlichen Räubern. Doch dafür zahlte Ingrid H. im Sommer 2008 mit ihrem Leben. Die beiden 15 und 17 Jahre alten Täter verfolgten die 71-Jährige in Hohenschönhausen, bis keine Passanten mehr in der Nähe waren. Am Bahndamm rissen sie mit brachialer Gewalt an ihrer Handtasche, bis die Henkel rissen. Ingrid H. stürzte zu Boden und erlitt dabei so schwere innere Verletzungen, dass sie kurz darauf starb. Am heutigen Donnerstag muss sich einer der Täter, Sascha W., vor Gericht verantworten. Sein Komplize Toni H. wurde bereits zu einer Jugendstrafe von vier Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt.

Dass die Opfer bei einer solchen Raubtat ums Leben kommen, ist zwar die Ausnahme – in den vergangenen drei Jahren gab es jeweils einen „Handtaschenraub mit Todesfolge“, wie es im Polizeideutsch heißt. Doch die Konsequenzen sind häufig auch in weniger dramatischen Fällen verheerend: Viele ältere Menschen, die auf der Straße beraubt werden, ziehen sich Knochenbrüche zu, müssen sich oft mehreren Operationen unterziehen, manche infizieren sich in der Klinik und sterben daran, für andere folgt eine Odyssee zu Reha-Kliniken und Fachärzten, die sich um die Spätfolgen kümmern.

Zwar vermeldet die Polizei bei Handtaschenraubtaten einen „rückläufigen Trend“, doch dies auf hohem Niveau. 681 Fälle waren es im Jahr 2006, im Jahr darauf 659. Auch im vergangenen Jahr soll die Zahl weiter gesunken sein – die Statistik liegt erst in Kürze vor. Etwa die Hälfte der Opfer ist älter als 60 Jahre. Unter den ermittelten Tätern waren 68 Jugendliche, 42 Erwachsene und vier Kinder.

Die 80-jährige Edith B. weiß, was ein Überfallopfer durchmacht. Drei Mal in fast 20 Jahren wurde die Kreuzbergerin beraubt – mit den Folgen des letzten Angriffs hat sie noch zu kämpfen. Das war am 13. Juni vorigen Jahres im U-Bahnhof Kottbusser Tor. Edith B. ging die Treppe zum Ausgang hinauf, als der Täter sie von hinten angriff. Sie stürzte die Stufen hinab und brach sich den Arm. Der Räuber, ein Heroinabhängiger, wurde kurz darauf gefasst. „Aber seither muss ich erst wieder lernen, allein auf die Straße zu gehen“, sagt die ehemalige Museumsangestellte. Der Arm schmerzt immer noch, regelmäßig muss sie zum Orthopäden. Ihre Familie habe sie gedrängt, für fünf Wochen in die Reha-Klinik zu gehen. „Ich wollte damals nur noch in meiner Wohnung bleiben und meine Ruhe haben“, erinnert sich Edith B.

Diese Reaktion kennt Susanne Bauer, Landespräventionsbeauftragte der Polizei, sehr gut. „Die psychischen Folgen gerade für ältere Menschen sind nicht unerheblich: Viele trauen sich nicht mehr heraus, es besteht die Gefahr, dass sie vereinsamen.“ Um dies zu verhindern, versucht die Polizei vor allem die älteren Menschen mit Präventionskursen zu erreichen und – sofern sie bereits Opfer wurden – an Organisationen wie den „Weißen Ring“ zu vermitteln. „Manchmal hilft es schon, wenn die Opfer sich mal richtig aussprechen können“, sagt der stellvertretende Landesvorsitzende vom Weißen Ring, Hans-Günter Mahr. Doch auch psychologische Hilfe werde vermittelt. Und wer bedürftig ist, der bekomme auch finanzielle Unterstützung.

Edith B. sagt, sie habe aus den vergangenen drei Überfällen gelernt. Das erste Mal – im Frühsommer 1990 am Mehringdamm – hatte sie ihre Tasche so lange festgehalten, bis der Täter von ihr abließ und weglief. „Da war ich noch jünger und hatte mehr Kraft“, sagt sie. Doch die Polizei rät: „Loslassen!“ Der materielle Schaden sei meist weniger groß als die Verletzungen, die sich alte Leute im Gerangel mit dem Täter zuziehen können. Als Edith B. im Oktober 2000 das zweite Mal beraubt wurde, hatte sie noch sämtliche Papiere und reichlich Bargeld in ihrer Handtasche. Die beiden Räuber kamen von hinten und würgten sie, bis sie ohnmächtig wurde. „Ich nehme jetzt keine Papiere mehr mit, sondern nur gerade so viel Geld, wie ich zum Einkaufen brauche“, schildert die Rentnerin. Die Polizei rät älteren Frauen sogar, möglichst ganz auf die Handtasche zu verzichten – und besser einen Brustbeutel oder eingenähte Innentaschen zu benutzen.

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