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Prozess: Weinend gestand der Angeklagte den Mord bei Reichelt

Marico T. ging in Konradshöhe auf einen Ex-Kollegen los. An Einzelheiten will er sich nicht erinnern können.

Marico T. schloss die Augen, als der erste Zeuge den Saal betrat. Vielleicht wollte er nicht sehen, was er angerichtet hat. Vielleicht war er auch am Ende seiner Kräfte. Unter Weinkrämpfen hatte er zuvor den Überfall auf die Reichelt-Filiale in Konradshöhe kurz vor Weihnachten gestanden, bei dem ein Wachmann getötet wurde. „Keiner sollte verletzt werden“, hatte der 22-jährige T. beteuert. Der Marktleiter sagte dagegen als erster Zeuge: „Er war brutal ohne Ende.“

Der gelernte Versicherungsfachmann und Ex-Kassierer schnitt dem 20-jährigen Wachmann Ugur U. von hinten die Kehle durch. Kurz darauf stach er seinem früheren Chef in den Hals und schoss aus nächster Nähe mit einer Gaspistole auf einen Kassierer. Es war gegen 22 Uhr, als er befahl: „Geld her!“ Der Filialleiter, von dem er sich wenige Minuten zuvor freundlich verabschiedet hatte, war völlig überrascht. Marico T., sein Ex-Mitarbeiter, der stets pünktliche und unauffällige Mann, „bestand nur noch aus Wut“.

Marico T. will sich nur noch bruchstückhaft an seine Tat erinnern können. Weil er finanziell am Ende war, will er auf die Idee eines Raubüberfalls gekommen sein. „Ich sah mich an einem Abgrund“, schluchzte er. Ein Kreditantrag sei abgelehnt worden, mit seiner Beziehung sei es fast am Ende gewesen. Weil er den Markt genau kannte, fuhr der Friedrichshainer nach Konradshöhe. „Geraume Zeit saß ich vor der Filiale und kämpfte mit mir.“

Er ging hinein und plauderte mit den Ex-Kollegen. Er berichtete von seiner Ausbildung zum stellvertretenden Marktleiter in einem anderen Supermarkt. Er wünschte noch frohe Weihnachten. Als er mit dem Wachmann auf dem Weg zur bereits verschlossenen Tür war, sei ihm „komisch“ geworden, jammerte der Angeklagte. Er wisse nur noch, dass er ein Messer hochgehalten habe. Und dann sei da überall Blut gewesen. „Blut, Blut, Blut“, weinte der Angeklagte.

Er kannte kein Erbarmen. Den tödlich verletzten Wachmann trieb er „regelrecht vor sich her“, sagt der 45-jährige Filialleiter. Als T. Geld verlangte, rief er ihm zu: „Nimm die Kasse und verschwinde!“ Doch Marico T. habe den am Boden liegenden Kassierer getreten und mit der Gaspistole geschlagen. „Ich hatte das Gefühl, er war gar nicht auf Geld aus“, sagte der Zeuge.

Ein dramatischer Überlebenskampf begann. Die Opfer wollten T. überwältigen. Dem Kassierer gelang die Flucht. Schließlich stand T. mit dem Messer vor seinem Ex-Chef. „Er zielte, stach in den Hals.“ Ihm sei klar gewesen, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben würde, sagte der Filialleiter. „Der wollte nur noch, dass im Laden keiner am Leben bleibt, der ihn kennt.“ Frank U. griff zum Messer, stach im Gerangel zu.

Was trieb Marico T. wirklich? Seine Schulden waren mit 5000 Euro überschaubar. Ihm drohte keine Pfändung, er hatte einen Job. Trotzdem: Als Angeklagter wirkte er, als habe das Unglück ihn und nicht die Opfer getroffen. Seine Befragung musste abgebrochen werden. „Er hat hyperventiliert“, hieß es knapp. Am Donnerstag geht der Prozess weiter.

Kerstin Gehrke

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