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Monika de M.

© Wolfgang Mrotzkowski

Revisions-Prozess: Selbst der Ankläger fordert jetzt Freispruch

888 Tage saß eine Arzthelferin als Mörderin im Gefängnis – offenbar unschuldig. Ihr Vater starb bei einem Unfall, sagt eine Gutachterin. Sie ist die einzige Hoffnung für Monika de M.

Damals sagte sie sich immer wieder: „Dir kann nichts passieren, du hast nichts gemacht.“ Als Monika de M. dann im Prozess das vernichtende Urteil hörte, schüttelte sie nur mit dem Kopf. Keine Träne, kein Aufschrei. Was ihr damals, als sie zu lebenslanger Haft wegen Vatermordes verurteilt wurde, durch den Kopf ging? „Dem Richter zeigst du nicht, dass du heulst“, sagt die 52-Jährige. Sie steht seit gestern wieder vor Gericht, und vor dem Saal sagt sie laut, wovon inzwischen ohnehin fast alle überzeugt sind: „Ich saß 888 Tage unschuldig im Gefängnis.“

Viereinhalb Jahre sind seit der Schicksalsnacht vergangen. Damals, am 18. September 2003, hatte die Arzthelferin die Feuerwehr alarmiert. „Schnell, wir brennen ab!“, rief sie ins Telefon. Als die Rettungskräfte eintrafen, war es zu spät. Die Doppelhaushälfte im Uhuweg in Neukölln stand lichterloh in Flammen. Im oberen Stock kam der 76-jährige Theodor de M., ein schwer krebskranker und bettlägeriger Mann, in den Flammen um.

In einem Brandgutachten des Landeskriminalamtes (LKA) wurde wenig später von Brandstiftung gesprochen. Fünf bis zehn Liter Brennspiritus sollte jemand im Haus verteilt haben – im Wohnzimmer, auf der Treppe ins Obergeschoss, im Zimmer des hilflosen Rentners. Die Tochter beteuerte ihre Unschuld. Doch man glaubte ihr nicht. Es war die 22. Große Strafkammer unter dem Vorsitzenden Peter Faust, die über den Fall entschied.

Das LKA-Gutachten stand von Anfang an heftig in der Kritik. Die Verteidigung und der Schwager der Angeklagten schalteten weitere Experten ein. Am Ende stand es zwei zu vier. Vier Gutachten widersprachen dem Ergebnis des LKA. Dennoch verkündete Richter Faust im Januar 2005: „Es wurde nachgewiesen, dass ein Brandbeschleuniger benutzt wurde.“ Er und seine Kollegen glaubten, sie habe Versicherungsgelder kassieren wollen. „Sie war pleite, der Lohn gepfändet, der Sohn im Gefängnis, der Lebensgefährte ein Trinker und der Vater todkrank.“

Der Bundesgerichtshof ließ kein gutes Haar an dem Urteil. Es wurde komplett aufgehoben. Zwei Monate später kam Monika de M. frei. Sie sagt: „Der Vorsitzende Richter im ersten Prozess war befangen.“ Das habe sie nach zwei Verhandlungstagen gespürt. Als sie von anderen Prozessbeobachtern erfährt, dass Peter Faust ein sehr geschätzter Jurist und auch Vorsitzender des Berliner Richterbundes ist, zuckt sie die Schulter. „Keine Ahnung, was ich ihm getan habe.“

Jetzt ist es die 29. Große Strafkammer, die über das Schicksal von Monika de M. zu befinden hat. Dieses Mal ist nur eine Zeugin geladen: Silke Löffler, Sachverständige des Bundeskriminalamtes. Die Expertin ist gewissermaßen als Obergutachterin eingeschaltet worden: Im Sommer hat sie dem Uhuweg einen Besuch abgestattet, Akten geprüft und sich auch ein Video angeschaut, auf dem das LKA die Brandspuren festgehalten hatte.

Für die 48-jährige Expertin steht fest: „Es fanden sich keine charakteristischen Spuren für Brandbeschleuniger.“ Im Gerichtssaal hält sie immer wieder den Film des LKA an, zeigt auf Brandnarben, Verrußungen („… die Intensität nimmt von oben nach unten ab …“) und zieht ihre Schlüsse: „Es ist gut denkbar, dass die Matratze durch eine Zigarette zum Schwelen gebracht wurde“, sagt Silke Löffler und meint: Wahrscheinlich kam der Vater durch einen Schwelbrand, also einen Unfall, ums Leben. Das Spurenbild im Haus widerspreche der LKA-These eindeutig, dass ein Brandbeschleuniger benutzt wurde. „Das hätte stutzig machen müssen.“

Das Urteil soll Mittwoch verkündet werden. Der Staatsanwalt hat bereits auf Freispruch plädiert. Dann kann Monika de M. zumindest mit einer Haftentschädigung rechnen: Elf Euro gibt es für jeden Tag, den sie unschuldig im Gefängnis saß. Einen Verdienstausfall oder Schadensersatz kann sie nicht einklagen.

Monika de M. wirkt im zweiten Prozess fast entspannt. Doch als sie auf dem Gerichtsflur nach ihren Gefühlen gefragt wird, kommen ihr doch die Tränen. „Jetzt geht es schon viel besser.“ Die Familie und Freunde hätten ihr sehr geholfen. Wenn sie den Kopf wieder frei hat, will sie ihr Leben wieder in die Hand nehmen. Und sich einen neuen Job suchen.

Kerstin Gehrke

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