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Psychiater Hans-Ludwig-Kröber konnte nicht mit allen Häftlingen sprechen.

© ddp

Sicherungsverwahrung: Gutachter sehen Rückfallrisiko bei fünf Gefangenen

Noch in diesem Jahr werden Häftlinge aus Sicherungsverwahrung entlassen. Wo sie in Freiheit untergebracht werden sollen, ist völlig unklar.

Die Spezialisten des Mobilen Einsatzkommandos der Polizei müssen sich an eine neue Aufgabe gewöhnen: Sie werden als Sozialarbeiter gebraucht. Die Observation des Anfang Juli nach mehr als 20 Jahren freigelassenen und weiter als gefährlich eingestuften Baby-Mörders Matthias K. ist jetzt verlängert worden – obwohl es intern deutliche Kritik an der personalintensiven Überwachung gibt. „Die aktuellen offenen Observationsmaßnahmen werden insoweit kritisch gesehen, als Herr K. dazu neigt, die polizeiliche Begleitung als Personenschutz und zugleich als Alibi zu funktionalisieren, was mit der Entwicklung einer Art VIP-Gefühl einhergeht“, heißt es im Protokoll der jüngsten Fallkonferenz zu K. Als K. beispielsweise einmal in eine Fahrscheinkontrolle geriet, soll er sich nur kurz zu seinen Beschattern umgedreht und angewiesen haben: „Kümmert ihr euch mal darum!“

Doch Sicherheit geht vor, deshalb ist die Observation verlängert worden. „Die Polizeibegleitung bietet Herrn K. einen schützenden Rahmen, den ihm bislang die JVA Tegel geboten hat“, heißt es in dem Protokoll der Sitzung weiter. Der 40-Jährige braucht demnach die Beamten zur Stabilisierung, „damit er funktioniert“, wie es hieß. K. hatte im November 1987 in Berlin-Buch einen sieben Monate alten Säugling vor dem Postamt entführt, missbraucht und dann in die Panke geworfen, wo der kleine Junge starb.

K. gilt behördenintern als Musterbeispiel für das, was auf die Polizei in den kommenden Monaten zukommen wird. Sieben Männer werden freigelassen, Mörder, Totschläger und Sexualtäter. Und ihre Prognose ist überwiegend schlecht. Bei Rainer P., Hans W. und Wolfgang R. wird ein Rückfallrisiko gesehen. Bei Günter J. und Klaus B. ist die Prognose „unsicher“. Nur bei Jürgen B. und Chris W. wird ein „geringes“ Risiko gesehen. Der 70-jährige Jürgen B., der seit 1969 in Haft sitzt, ist gesundheitlich stark angeschlagen. Der Gutachter sieht „keine eingeschliffene Gewalttätigkeit“ bei dem „zurückgezogenen Einzelgänger“. Er soll in ein Altersheim ziehen. Bei Chris W. hofft der Gutachter auf die stabilisierende Wirkung durch die langjährige Lebensgefährtin des 50-Jährigen. Er ist der einzige Gefangene, der „in gutes Sozialgefüge“ entlassen werden kann, heißt es. Für die meisten anderen muss eine Unterbringung im betreuten Wohnen gefunden werden. Bislang ist jedoch noch keine einzige Unterbringungsmöglichkeit gefunden worden, sagte ein Justizsprecher gestern. Die Begeisterung bei den Heimbetreibern sei angesichts der riesigen öffentlichen Debatte um die Fälle äußerst gering, hieß es. Sie machen sich Sorgen, dass Fotografen und Kamerateams die Heime belagern oder Nachbarn protestieren könnten. Auch im Fall Matthias K. war es erst ein Jahr nach Ende der eigentlichen Haftzeit gelungen, einen Platz zu finden. In der Zwischenzeit blieb K. freiwillig in seiner Zelle in Tegel.

Die Rückfallprognosen gelten als unsicher, weil viele der Täter alkohol- oder drogenabhängig sind. So heißt es beispielsweise zu Rainer P., dass er vor allem unter Alkoholeinfluss zu Gewalt neigt. Alle Straftaten hatte der 53-Jährige im Rausch begangen. Seit dem 14. Lebensjahr ist er alkoholabhängig. Positiv wird vermerkt, dass er in Tegel „seit 2001 beanstandungsfrei“ war. Jedoch seien größere Mengen Alkohol auch deutlich schwerer ins Gefängnis zu schmuggeln als Heroin oder Haschisch, hieß es. Der Gutachter hält es deshalb für möglich, dass P. wieder zu trinken beginnt. Das gleiche gilt für den Sexualtäter Hans W. Trotz seiner 66 Jahre und einem bereits erlittenen Schlaganfall wird er als gefährlich eingestuft; auch er hat alle Taten unter Alkohol begangen.

Psychiatrisch begutachtet wurden die sieben Männer in den vergangenen Wochen von Psychiater Hans-Ludwig Kröber. Persönlich gesprochen hat Kröber jedoch nur mit zwei Gefangenen – die anderen hatten Gespräche verweigert und wurden „aus den Akten“ begutachtet.

Für jeden Straftäter planen Polizei und Justiz im Falle der Freilassung ein „individuelles Paket“ an Maßnahmen. Alle Männer bekommen zwei Bewährungshelfer an die Seite, einen Mann und eine Frau. Die Justiz lobt diese „Tandemlösung“, bei der aus „weiblicher und männlicher Perspektive“ Gefahren effektiver erkannt werden sollen. Alle bekommen zudem harte Führungsauflagen, wie beispielsweise Meldepflicht oder Alkoholverbote. Wie viele später beschattet werden, steht derzeit noch nicht fest. Alle Observationen werden jedoch, wie im Fall Matthias K., „offen“ und nicht verdeckt ablaufen.

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