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Der Angeklagte Silvio S. vor dem Potsdamer Landgericht

© dpa/Ralf Hirschberger

Update

Silvio S. bittet um Entschuldigung: Quälende Fragen bleiben unbeantwortet

Immer wieder hatten Gericht und Anklage Silvio S. aufgefordert, sich zu äußern. Jetzt hat der mutmaßliche Mörder von Elias und Mohamed geredet.

Für Theodor Horstkötter war es eine Formalie. Aber auch ein letzter Versuch. Der Vorsitzende Richter der ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht Potsdam hatte an fast jedem der vorherigen zehn Verhandlungstage an Silvio S. appelliert, sich endlich zu äußern. Die ihm zur Last gelegten Morde an dem sechsjährigen Elias aus dem Potsdamer Stadtteil Schlaatz und dem Flüchtlingsjungen Mohamed aus Berlin selbst aufzuklären. Doch der 33-jährige S. schwieg. An diesem Dienstag wandte sich Horstkötter erneut an den Angeklagten. Um kurz vor 11.30 Uhr waren alle Beweise präsentiert und besprochen, die Plädoyers gehalten. „Das letzte Wort liegt bei ihnen“, sagte der Richter zu S. Nur er könne noch Gesichtspunkte schildern, die im Prozess bisher keine Rolle spielten.

Wie so oft an den vorigen zehn Verhandlungstagen fasste sich der Ex-Wachmann, ergrautes Haar, abgemagert, an seine Nase, rückte sich die schmale Brille zurecht. Doch diesmal hatte er einen abgegriffenen Zettel vor sich liegen. Sein Verteidiger Mathias Noll sagte noch, seinem von allen Zeugen und Gutachtern als kontaktscheu, schüchtern und zurückhaltend beschriebenen Mandanten falle dieser Schritt sehr schwer. Dann sprach Silvio S. doch noch, leise, langsam, stockend. Niemand hatte damit gerechnet. „Ich möchte mich eigentlich nur entschuldigen bei all denen, denen ich mit meinen Taten Leid zugefügt habe, bei den Familien und Freunden von Elias und Mohamed. Ich bereue, was ich getan habe.“

Kein Wort zu den Taten selbst

Zweieinhalb Minuten lang las S. von dem Zettel ab: „Es gibt kein Wort auf der Welt, das beschreiben könnte, wie leid es mir tut. Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es tun. Ich selbst aber kann mir das nicht verzeihen. Ich werde in der Haft alle Behandlungen annehmen, die angeboten werden, damit so etwas auf keinen Fall noch einmal passieren kann. Egal wie das Urteil auch ausfällt: Die Verantwortung für die schrecklichen Taten und den Tod von Mohamed und Elias wird immer bleiben, genauso die Gewissheit, dass ich das nicht wiedergutmachen kann.“ Doch kein Wort zu den Taten selbst, dazu, wie die Kinder sterben mussten. Dabei war das die quälende Frage für die Angehörigen, vor allem für die Mutter von Elias. Für S. wäre das an deutschen Gerichten übliche letzte Wort des Angeklagten vor dem Urteilsspruch die allerletzte Gelegenheit für eine Antwort gewesen.

Zunächst hatte S. nach seiner Festnahme am 29. Oktober 2015 den Mord an Mohamed zugegeben, ebenso die Entführung vom Gelände des Berliner Landesamtes für Gesundheit und Soziales (Lageso) und den schweren sexuellen Missbrauch in seiner Wohnung. Zudem hatte der Mann aus dem Dorf Kaltenborn (Teltow-Fläming) eingeräumt, auch für den Tod des am 8. Juli 2015 in Potsdam spurlos verschwunden Elias verantwortlich zu sein. Er lotste die Ermittler zu seinem Schrebergarten, wo der verscharrte Leichnam des Jungen gefunden wurde. Doch seitdem: auf Anraten seiner Verteidiger kein Wort mehr. Wie Elias genau sterben musste, konnte die Schwurgerichtskammer nur annähernd ergründen.

Staatsanwalt hat Höchststrafe beantragt

Darauf ging auch der Verteidiger des Angeklagten ein. Es gebe Zweifel, wie der Junge genau erstickt sei, sagte Anwalt Uwe Springborn. Auch der von dem renommierten Berliner Gerichtsmediziner Michael Tsokos diagnostizierte schwere Missbrauch von Elias kurz vor oder nach seinem Tod sei „spekulativ“. Aus Sicht der Verteidigung könnten bestimmte Spuren, die von der Staatsanwaltschaft als Beweis für den Missbrauch herangezogen werden, eine andere Ursache haben. Dem widersprach Staatsanwalt Petersen: Die Indizien deuteten eindeutig darauf hin, dass Elias ermordet wurde, um die Entführung und den Missbrauch zu decken.

Das Ziel der Verteidigung: Im Fall von Elias nur eine Verurteilung wegen Totschlag, Körperverletzung mit Todesfolge oder fahrlässiger Tötung. Dagegen ist auch aus Sicht der Verteidigung die Tötung von Mohamed zur Verdeckung einer Straftat erfolgt – ein Mordmerkmal daher erfüllt. Die Verteidiger wollen die Verurteilung von S. wegen zweifachen Mordes vermeiden, ebenso die von der Staatsanwaltschaft beantragte Sicherungsverwahrung für besonders gefährliche Gewalttäter sowie die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld. Es wäre die Höchststrafe, S. hätte kaum Aussicht darauf, wieder in Freiheit zu gelangen.

Mutter von Elias hatte Aufschluss über die letzten Stunden ihres Kindes erhofft

„Für meine Mandantin sind Sie eine Bestie, für die Öffentlichkeit sind Sie der Mörder mit Gummibärchen und Chloroform, für mich alles Schlimme und Verdorbene dieser Welt“, sagte der Anwalt der Mutter von Mohamed, Khubaib-Ali Mohammed. Franziska Neumann, die für die Mutter von Elias die Nebenklage vertritt, sagte: Die Mutter habe sich bis zuletzt Aufschluss über die letzten Stunden ihres Kindes erhofft, das „zum Spielen hinausging und nie zurückkam“. S. hätte ihrer Mandantin helfen können, „mit dem Schmerz über den Verlust ihres einzigen Kindes und die damit einhergehende Verzweiflung umzugehen und die innere Leere zu überwinden“.

Eineinhalb Stunden später folgten die ersten Worte und letzten Worte des Angeklagten in dem Verfahren. Antworten für die Eltern von Elias und Mohamed gab er keine. Nebenklage-Anwalt Schulz sagte dem Tagesspiegel danach: Die Mutter von Mohamed könne diese Entschuldigung – selbst wenn sie aufrichtig wäre – nicht annehmen. „Wir haben es hier nicht mit den Folgen eines Verkehrsunfalls zu tun, sondern mit einem der schwersten Verbrechen, begangen an einem unschuldigen Kind, wo kein Raum für die Annahme einer solchen Erklärung bleibt.“

Für kommende Woche Dienstag wird das Urteil erwartet.

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