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© dpa

Urteil: Briefbomber ließ den Opfern keine Chance

UPDATE Aus Hass auf die Familie seiner Stiefschwester legte Peter J. zwei Sprengfallen. Die Bombe im Briefkasten zerfetzte einen Arm seiner zwölfjährigen Nichte.

Es war ein Rachefeldzug mit Sprengfallen. „Außerordentlich heimtückisch und zutiefst menschenverachtend“, sagte die Vorsitzende Richterin. Peter J., dessen Briefbombe seiner damals zwölfjährigen Nichte Charlyn den rechten Arm zerfetzt hatte, sei des versuchten Mordes schuldig. Das Landgericht verhängte gestern die Höchststrafe: lebenslange Haft.

Der „Rudower Briefbomber“ wirkte gefasst. Wie ein interessierter, aber nicht betroffener Zuhörer saß der 34-Jährige auf der Anklagebank. Peter J. habe Selbstjustiz üben und Charlyns Eltern „abstrafen“ wollen, sagte Richterin Angelika Dietrich. Er macht sie für einen Einbruch in seine Neuköllner Wohnung verantwortlich, obwohl es keinerlei Hinweise darauf gibt. Seine Stiefschwester und sein Schwager seien für ihn „Schmarotzer und Hassobjekte“ gewesen. Seine Bomben waren getarnt. „Er ließ den Opfern überhaupt keine Chance.“ Wer und wie viele Menschen getroffen werden, habe er dem Zufall überlassen.

Am Morgen des 26. November 2008 hatte Peter J. zwei Sprengfallen gelegt – eine im Briefkasten der Familie, die andere auf dem Auto seines Schwagers. Den Umschlag, in dem eine Bombe aus 65 Gramm steckte, hatte er mit Nikoläusen beklebt. „Frohe Weihnachten“, jubelten die Figuren. Als Charlyn gegen 16.20 Uhr aus der Schule kam und nach der Post griff, geschah die Katastrophe. Die Druckwelle war so stark, dass die Haustür splitterte. Bewohner kümmerten sich um das lebensgefährlich verletzte Kind. Es grenze an ein Wunder, dass Charlyn nicht starb, sagte die Richterin.

Peter J. hatte in dem fünfmonatigen Prozess den Anschlag gestanden – doch schwere Selbstvorwürfe schienen ihn nicht zu quälen. Von einem „Fehler“ sprach er und davon, dass sich in seinem Kopf „etwas festgebrannt“ hatte. Charlyn sollte nicht getroffen werden. Das beteuerte der Onkel, das glaubten ihm die Richter. Peter J. sagte, er habe seinen Schwager verletzen wollen: „Hand ab.“ Eine Tötungsabsicht bestritt er. Aus Sicht des Gerichts aber nahm J. billigend in Kauf, dass jemand sterben könnte. Bei der Polizei hatte er über Charlyns Eltern gesagt: „Es hätte mich nicht gestört, wenn sie sterben.“

Im Prozess ging es vor allem um die Schuldfähigkeit des Bombenlegers. Vor Gericht zeigte er sich zerstreut, unstrukturiert. Der Mann ließ seine Finger über den Tisch tanzen und verlor sich in bizarren Geschichten, in denen er zum Opfer finsterer Ganoven wurde. Ein Psychiater stellte eine dissoziale Persönlichkeitsstörung fest. Als er die Bomben legte, habe J. aber nicht impulsiv gehandelt. Es habe kein Wahn vorgelegen, es seien keine Zwänge erkennbar, die ihn getrieben haben könnten. Peter J. sei voll schuldfähig gewesen. So sah es auch das Gericht.

Es kommt nicht oft vor, dass ein Mordversuch mit lebenslanger Haft geahndet wird. Bei Peter J. aber sei „die Gefährlichkeit des Versuchs außerordentlich groß“ gewesen. Eine Sicherungsverwahrung stand nicht zur Debatte. J. ist zwar mehrfach vorbestraft, aber nicht wegen Gewaltdelikten. Das Urteil entsprach dem Antrag von Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Die Verteidigung hatte auf schwere Körperverletzung plädiert. „Die Familie wird es mit einer gewissen Genugtuung aufnehmen“, sagte der Anwalt der Familie. Charlyn lag zweieinhalb Monate im Krankenhaus. „Sie muss jeden Tag sehr viel kämpfen“, sagte ihre Mutter im Prozess. Ob die inzwischen 13-jährige Schülerin ihre Hand jemals wieder so bewegen kann wie vor dem Anschlag, ist ungewiss.

Peter J. gilt als Außenseiter, sein Leben ist geprägt von Misstrauen. Es sei zu hoffen, dass er die Haftzeit nutzt, um Hass und Verachtung gegenüber der Gesellschaft zu überdenken, sagte Richterin. Darin liege seine Chance, nach mindestens 15 Jahren hinter Gittern sein Leben doch noch positiv gestalten zu können.

J. stand nach dem Urteil auf und verabschiedete sich mit einem Lachen von seinem Verteidiger. Sie werden das Urteil anfechten, das hat der Anwalt bereits angekündigt.

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