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Veruntreuung: "Hatun und Can"-Chef wegen Betrugsverdachts vor Gericht

Am Freitag beginnt der Prozess gegen Udo D. Er soll 690.000 Euro Spendengelder überwiegend privat genutzt haben.

Von Sabine Beikler

Berlin - Die Anklageschrift umfasst 111 Seiten, 144 Zeugen sollen bei dem Prozess gegen den Vorsitzenden des Vereins „Hatun und Can“ aussagen. Udo D. ist wegen Betrugsverdachts angeklagt. Laut Staatsanwaltschaft soll er zwischen Januar 2007 und April 2010 Spendengelder in Höhe von mehr als 690 000 Euro „erschlichen“ und diese fast ausschließlich für Privatzwecke verwendet haben. Am Freitag beginnt der auf 13 Verhandlungstage angesetzte Prozess vor der Vierten Kammer des Strafgerichts.

Die Ermittlungen wurden im Herbst vergangenen Jahres durch eine Anzeige von Emma-Chefredakteurin Alice Schwarzer, Frauenrechtlerin Necla Kelek und RTL ausgelöst. Schwarzer kannte den Verein, ein Artikel über ihn erschien 2008 in der „Emma“. Vor einem Jahr gewann Schwarzer in der Sendung „Wer wird Millionär“ 500 000 Euro und spendete das Geld dem Verein. Sie wurde dann aber aktiv, nachdem sie laut eigenen Worten kaum Auskunft über die Vereinsaktivitäten erhalten hatte. Sie schloss sich mit Necla Kelek, die damals noch Vereinsmitglied von „Hatun und Can" war, zusammen und verabredete im November ein Treffen mit Vereinsgründer Udo D. Das Gespräch sei sehr „irritierend“ verlaufen, wie sich auch Necla Kelek erinnert. Man habe wenig konkrete Antworten auf Fragen erhalten. Daraufhin schlug Alice Schwarzer eine Teilung der Spende vor, die anderen Einrichtungen hätte zugute kommen sollen. Das wiederum hat Udo D. abgelehnt.

Ende März wurde dieser wegen Betrugsverdachts verhaftet. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, von den Spendengeldern unter anderem Urlaubsreisen oder Renovierungsarbeiten finanziert zu haben und einen 60 000 Euro teuren BMW X 6 für den Verein überwiegend privat genutzt zu haben. Zur Last wird ihm weiterhin Urkundenfälschung gelegt. Er soll zum Nachweis angeblicher Vereinsaktivitäten Quittungen und Belege fingiert haben. Etwa 400 000 Euro hat die Staatsanwaltschaft sichergestellt. Udo D.s Anwalt Hubert Dreyling spricht von einem „Justizskandal“ und „nicht substanziierten Behauptungen“ der Staatsanwaltschaft. Der Verein habe zwar „dilettantisch Buch geführt“, aber ein „Krimineller“ sei Udo D. keinesfalls, sagte der Anwalt dem Tagesspiegel. Dreyling will zum Prozessauftakt Befangenheitsanträge gegen die Richter stellen.

Der Verein „Hatun und Can“ wurde nach dem Mord an Hatun Sürücü im Jahr 2005 gegründet. Rund zwei Dutzend Ehrenamtliche sollen mehr als 100 Frauen vor Zwangsehen und Verfolgung durch ihre Familien gerettet haben. Der Verein bekam viel Lob, Ende 2009 zeichnete das Saarland den Verein für „herausragendes Engagement“ aus. Mittlerweile ist die Internet-Seite von „Hatun und Can“ gelöscht, im Vereinsregister ist er aber noch eingetragen. Vereinsmitglieder reagieren nicht auf Anfragen über Aktivitäten.

Die seit 25 Jahren aktive Frauenhilfsorganisation Papatya kritisierte „Hatun und Can“ seit längerem wegen dessen mangelnder Professionalität. Man kenne zwar „einige Fälle“, in denen Hatun und Can geholfen hätten, sagte eine Papatya-Mitarbeiterin. Doch seien Frauen oft falsch und schlecht beraten worden. Papatya hat im vergangenen Jahr 475 Frauen beraten und davon 60 in einer Schutzwohnung aufgenommen. Sabine Beikler

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