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Vorwurf Mairandale: Freudentränen und Jubel im Gerichtssaal

Rigo B. (17) und Yunus K. (20) sind heute freigelassen worden. Beide hatten wegen angeblicher Beteiligung an der Mairandale seit Monaten in Untersuchungshaft gesessen. Für ihre Freilassung zu Weihnachten hatten sich ihre Eltern eingesetzt. Auch Mitschüler der beiden hatten die Freilassung mit einer Aktion unterstützt.

Applaus und Jubelschreie. Was in einem Gerichtssaal eigentlich nicht geduldet wird, durfte für ein paar Minuten sein. Die Richter nahmen es wortlos hin. Rigo B. (17) und Yunus K. (20), die als mutmaßliche Mai-Randalierer mehr als sieben Monate in Untersuchungshaft saßen, sind seit gestern wieder frei. Sie fielen ihren Eltern, Freunden, Anwälten in die Arme. Freudentränen flossen, so überraschend kam der Beschluss. Die Richter, die erst kürzlich eine Haftverschonung mit deutlichen Worten abgelehnt hatten, sehen derzeit keinen dringenden Tatverdacht mehr.

Die Jugendlichen aus Tempelhof und Zehlendorf sind die Ersten, die jemals nach Krawallen am 1. Mai in Berlin wegen versuchten Mordes angeklagt worden sind. Sie sollen in Kreuzberg eine Brandflasche in Richtung Polizisten geschleudert haben. Brennende Flüssigkeit tropfte auf den Rücken einer Passantin. Die 28-Jährige erlitt Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Anfang September begann der Prozess. Rigo B. und Yunus K. bestritten die Vorwürfe vehement. Sie seien nur Schaulustige gewesen. Drei Polizisten aber belasteten die Angeklagten.

Sie wollen die mutmaßlichen Täter im Chaos beobachtet haben. Angeblich lückenlos vom Werfen des Molotowcocktails bis zur Festnahme. Die Verteidiger halten die Angaben der Beamten für widersprüchlich und wertlos. Sie gehen vielmehr von einer Verwechslung aus. „Die Staatsanwaltschaft hat schlicht die falschen Personen angeklagt“, sind sie überzeugt. Es gibt ein Foto, auf dem vier junge Männer zu sehen sind. Aus der „Vierer-Gruppe“ wurde nach Angaben von Zeugen ein Molotowcocktail geworfen. Einer der Männer war fast so gekleidet wie Rigo B. in jener Nacht.

Was hat sich in der Beweislage verändert? Was stimmte die Richter, die erst vor einem Monat eine Freilassung ablehnten, nun um? „Eigentlich gab es nichts Neues in den letzten Wochen“, sagen die Verteidiger. Das Gericht hatte zur Begründung nur drei juristisch-verschachtelte Sätze. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass die drei Polizisten „wissentlich die Unwahrheit“ gesagt hätten. „Subjektiv“ seien sie der sicheren Überzeugung, die Angeklagten „nahezu durchgängig beobachtet zu haben“. Doch das Gericht vermag „Zweifel nicht zu überwinden, dass die Polizisten einer Personenverwechslung erlegen sind“. Soll heißen: Sie könnten sich auch geirrt haben. Inzwischen laufen Ermittlungen gegen zwei der Männer vom Foto. Bei einem fand man einen Benzinkanister im Bettkasten.

„Rigo und Yunus sind draußen“, rief eine Zuhörerin ins Handy. Die Familien der Angeklagten waren da, Mitschüler, Freunde, Lehrer. Die Schulen von B. und K. hatten sich stets solidarisch gezeigt. Ein Freudentaumel vor dem Saal 806. „Es ist total komisch“, freute sich Rigo B. und strahlte seine Eltern an. „Wir haben nie die Hoffnung aufgegeben“, sagten sie. Und Rigos kleiner Bruder bekommt seinen größten Weihnachtswunsch erfüllt. „Ich wünsche mir, dass Rigo zu Hause ist“, hatte der Zehnjährige auf den Zettel geschrieben.

Die Angeklagten sind in Freiheit, doch der Prozess ist noch längst nicht zu Ende. Die Staatsanwaltschaft sieht nach wie vor dringenden Tatverdacht. Ob sie gegen den jetzigen Beschluss Beschwerde einlegen wird, ist offen. „Man wird die Entscheidung durchdenken“, sagte Oberstaatsanwalt Ralph Knispel. Das Gericht hat sieben weitere Termine bis zum 28. Januar anberaumt. Rigo B. und Yunus K. müssen am Montag wieder auf der Anklagebank sitzen.

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