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Polizei & Justiz: Wilde Kerle in der Jugendstrafanstalt

Expertenanhörung im Rechtsausschuss zu Überbelegung, Gewalt und Drogenproblemen

Das besondere Problem der Jugendstrafanstalt Plötzensee ist nicht der Schmuggel von Drogen und Handys, sondern die Überbelegung des Gefängnisses mit Jugendlichen, von denen viele äußerst gewaltbereit sind. Das ist der Tenor einer Anhörung im Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses, der gestern Staatsanwälte und Richter, Vollzugsbeamte und Wissenschaftler befragte.

So war die Jugendhaftanstalt im März dieses Jahres zu 130 Prozent überbelegt. Zurzeit sind es immer noch 115 Prozent, erklärte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) vor dem Ausschuss. Seit einem Jahr nähmen die internen Gewaltvorfälle zu, so Oberstaatsanwältin Vera Junker. „Sowohl an Zahl als auch an Intensität.“ Es gebe organisierte Quälereien; typische Täter seien jugendliche Gefangene arabischer, libanesischer und türkischer Herkunft. Fast 80 Prozent der Häftlinge seien Ausländer oder Migranten mit deutschem Pass, bestätigte der Anstaltsleiter Marius Fiedler. Und Olaf Heischel, Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats, sagte: „Das sind wilde Kerle, mit denen wir es dort zu tun haben.“

Statistisch lässt sich der Trend zu mehr Gewalt in der Berliner Jugendstrafanstalt allerdings nicht belegen. Während 2005 noch 48 Häftlinge wegen solcher Vorfälle Strafanzeige erstatteten, habe es im laufenden Jahr bisher nur 14 Anzeigen gegeben, teilte die Senatorin mit. Es gebe auch keine Hinweise, dass die Opfer „aus Angst oder Gleichgültigkeit“ auf Anzeigen verzichteten. Diese Einschätzung wurde nicht von allen Experten geteilt. Die Verhältnisse im Jugendgefängnis seien so, dass die extrem gewaltbereiten Häftlinge „ihre Verhaltensmuster ungebremst fortsetzen können“, so der Jugendrichter Günter Räcke. Die Opfer hätten massive Angst.

Dem stand wiederum die Aussage des Generalstaatsanwalts Ralf Rother entgegen, dass sich die internen Gewalttaten nach Erkenntnis der Ermittlungsbehörde „im Rahmen des Üblichen“ bewegten. Es werde „viel aufgeblasen“, meinte auch Vollzugsbeirat Heischel. Und Frieder Dünkel, Kriminologe an der Universität Greifswald und Gutachter für das Bundesverfassungsgericht, war „erstaunt, dass in Berlin Dinge so hochgekocht werden, die im deutschen Strafvollzug leider normal sind“. Im bundesweiten Vergleich könne sich der Berliner Jugendstrafvollzug durchaus sehen lassen, so Dünkel. Trotzdem sei wegen des hohen Anteils an Gewalttätern zusätzliches Fachpersonal nötig, etwa Psychologen und Sozialarbeiter. Auch für die Bewährungshilfe.

Das Thema Drogen spielte in der Anhörung kaum eine Rolle. Der Hinweis Fiedlers, dass seine Anstalt mit der strikten räumlichen Trennung der Häftlinge, die harte Drogen nähmen, bundesweit beispielgebend sei, wurde widerspruchslos aufgenommen. Und regelmäßige Urinproben zeigten, dass es in 95 Prozent der Fälle um Haschischgenuss gehe. „Wir sind nicht die Drogenhölle der Republik.“ Ein ernsteres Problem seien die Einschlusszeiten. Vor allem an Wochenenden führten Personalengpässe dazu, dass es nur noch eine Freistunde gebe. za

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