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Polizisten am 1. Mai: Hinterm Schutzschild stehen Menschen

Am 1. Mai stehen in Berlin rund 7000 Polizisten zwischen den Fronten linker und rechter Demonstranten. Unter dem 26 Kilogramm schweren Schutzanzug stecken allerdings auch Menschen – mit Ängsten und Sorgen.

„Das ist definitiv kein Alltagsgeschäft“, sagt Christine K. (Name geändert). Etwa zehn Mal ist die 45-jährige Polizistin schon am 1. Mai im Einsatz gewesen. Das mulmige Gefühl jedoch bleibe. Ihrem Einsatz morgen sieht sie mit „höllischem Respekt“ entgegen.

Ihr Kollege Werner G. (Name geändert) hat schon 40 Dienstjahre Erfahrung – und sieht das dennoch genauso. Er erinnert sich noch heute mit Schrecken an den 1. Mai 1987, als die Randale begann. „Das war der schlimmste 1. Mai, den die Stadt erlebt hat“, sagt er. Bis dahin hatte es alle Jahre am Tag der Arbeit nur friedliche Demos gegeben; die meisten Kollegen seien gegen 16 Uhr schon wieder zu Hause gewesen, als die Krawalle begannen. Damals entzündete sich der Funken, als die Polizei ein Straßenfest am Spreewaldplatz wegen Ausschreitungen auflösen wollte. „Ab dann war es wie Bürgerkrieg“, erinnert sich G. „Funkwagen und andere Autos wurden umgekippt und zu brennenden Barrikaden. Wir hatten erst keine Leute, dann kamen wir nicht durch die Barrikaden, die Laternen fielen aus, der Bolle-Supermarkt brannte. Auch die Feuerwehr wurde massiv angegriffen.“

Vor jedem 1. Mai habe man ein ungutes Gefühl, sagt G. „Ohne die heutige Ausrüstung in einen Hagel aus Pflastersteinen, Flaschen und Molotowcocktails hineinzurennen, um an die brennende Barrikade heranzukommen, das ist nicht ohne.“ Er habe schon etliche Verletzungen aus der Mai-Randale davongetragen. Als Führungskraft müsse er die Kollegen auf solche Einsätze vorbereiten, sagt der 57-Jährige; es sei auch schon vorgekommen, dass Teile der Mannschaft so große Angst hatten, dass sie sich weigerten mitzukommen.

„Ein Stück weit Angst macht einen sensibel“, erklärt Polizistin K. In Polizeikreisen sage man das zwar nicht so gern, aber jeder habe doch „so ein Kribbeln im Bauch“, bevor es losgehe. Das helfe, hellwach zu bleiben und sich auf unvorhergesehene Situationen schnell einzustellen. Christine K. wurde in all den Jahren bisher noch nicht verletzt. „Aber natürlich hat jeder die Bilder aus den Vorjahren im Kopf, von Situationen, die schlimm ausgingen. Oft habe ich schon gedacht: Gott sei Dank war ich da nicht dabei“, gesteht Christine K. offen ein. Mit schlotternden Knien werde den Demonstranten aber niemand entgegentreten.

Ohnehin sei für persönliche Befindlichkeiten im Einsatz kein Platz. Dass Rechtsextreme am 1. Mai durch Berlin marschieren, verurteilt sie beispielsweise aufs Schärfste. „Aber als Polizistin muss ich meine Gefühle da ausblenden und das Versammlungsrecht schützen.“ Dafür, sagt sie, habe sie schließlich ihren Beruf ergriffen. Um den Rechtsstaat zu verteidigen. Doch was für sie so selbstverständlich ist, verursache bei ihrer Familie jedes Jahr große Sorgen. „Vor und nach dem Einsatz kommt immer der Anruf, ob es mir gut geht“, sagt K. Besonders ihre Mutter stehe Ängste aus. Sie erfahre ja so viel Schlimmes aus der Presse.

Über die Jahre wurden unter der politischen Ägide diverser Innensenatoren verschiedene Polizeitaktiken ausprobiert. „Eigentlich sind alle gescheitert“, meint Polizist G. ernüchtert. Für ihn sei frustrierend, dass linke Gewalt oft sozialromantisch verklärt werde, so als hätten die Linken eigentlich doch das richtige Anliegen. „Die zünden Autos an, und das wird so hingenommen. Da sagen Leute: Am 1. Mai parkt man eben nicht in Kreuzberg – als wäre das völlig normal. Uns wäre schon viel damit geholfen, wenn linke wie rechte Gewalt konsequent verachtet und verurteilt würde, und zwar durch alle politischen Lager.“

Christine K. verurteilt die jährlichen Ausschreitungen noch aus einem anderen Grund: „Am besten wäre es, die Rechten bekämen kein Publikum. Durch die Krawalle kriegen sie doch erst die Aufmerksamkeit, auf die sie aus sind.“

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