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POSITIONEN: Berlins Architektur fehlt der politische Maßstab

Der Senat lässt Bauherren mit Entscheidungen allein – zum Schaden der Stadt

Der Tagesspiegel fordert zur Diskussion über Stadtpolitik auf. Es geht um gelungene Architektur der Nachwendezeit. In der Tat, es gibt sie, sie bereichert das Stadtgesicht. Sie gab es schon vor der Wende im Nachkriegsberlin. Ob Akademie der Künste im Hanseatenweg, ob Brücke Museum, manches IBA-Gebäude und weitere. Aber es waren Ausnahmeerscheinungen, die Regel sah und sieht anders aus. Für die Vorwendezeit zu besichtigen in Wolf Jobst Siedlers Buch „Die gemordete Stadt“, für heute in Mitte und drum herum. Wer gehofft hatte, die Leipziger Straßen-Architektur der DDR-Zeit würde niveaumäßig der Vergangenheit angehören, sieht sich enttäuscht. Die Materialien von heute mögen haltbarer sein, das Niveau ist es nicht.

Das fällt immer mehr Leuten auf. Ob die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher dazugehört, ist offen. Ihr Plädoyer (im Tagesspiegel vor einigen Wochen) „für ruhige Rechtecke“ um den Hauptbahnhof herum, spricht eher dagegen. Den Maßstab für neue Bauten bestimmen heute weitgehend die Investoren – kaum noch die Architekten. So entstehen die ewig gleichen, granitverkleideten Beton- und Glaskörper, ob um die Leipziger- und Friedrichstraße, ob rund um den Hauptbahnhof, am Alex oder Mediaspree, ob, ob... Allerorten gehorcht die Architektur dem ökonomischen Bedarf der Bauherren, die Maßstäbliches von der zuständigen Senatsverwaltung nicht zu fürchten haben. Das schadet der Aufenthaltsqualität der jeweiligen Umgebung, nimmt keine Rücksicht auf ästhetischen und sozialen Bedarf. Berlin verliert dadurch an Aussehen und Ansehen.

Oft streitet die Stadt um die Berechtigung historisierenden Bauens. 20 Jahre lang dauerte es, bis, mit einer Mehrheit von einer Stimme im Bundestag, das Berliner Stadtschloss wieder erstehen durfte, jedenfalls zum größten Teil. Auch seine Befürworter müssen allerdings zugeben, dass es sich beim Neubau von Altbauten um Ausnahmeentscheidungen handelt. Sonst ließe Disney grüßen. Anderes gilt für die wenigen von Krieg und Nachkriegszeit verschonten historischen Preziosen. Sie prägen die Stadt, ihr Lebensgefühl, das Maß der Identifikation mit ihr. Schinkels Bauakademie gehört dazu. Alle wollen sie, wollen mehr als die dort flatternde Plastikhülle. Ein Investor stand bereit. Der Senat ließ ihn ziehen und es bleibt bei der Brache. Ähnlich am Kulturforum. Es hätte im Scharoun’schen Sinn geschlossen werden können, ohne Inanspruchnahme von Haushaltsmitteln. Der Senat beließ es bei der Brache. Auch sie ist keine Augenweide.

Keine Brache, sondern eine punktuelle Verunstaltung historischer Substanz liegt im Fall der Fassade des Jagdschlosses Glienicke vor. Auch hier sind die Beteiligten mitsamt dem Regierenden Bürgermeister für die Wiederherstellung minus Verunstaltung. Die zuständige Senatsverwaltung stellt sich tot – dasselbe blüht nun der Fassade.

Das sind Beispiele. Das Stadtgesicht Berlins wird nicht durch das Datum der Grundsteinlegung, sondern durch die Qualität seiner Architektur bestimmt. Dazu bedarf es problembewusster Maßstäblichkeit. Wo sie fehlt, entscheidet nur der Bauherr. Über Geschmack lässt sich nicht streiten?! Architekturqualität ist mehr als Geschmackssache. Es ist abwegig, Urbanität aus dem Streit auszuschließen. Berlins früherer Kultursenator Adolf Arndt (1963-1964) prägte den Begriff von der „Demokratie als Bauherr“. In jedem Fall wäre es ein Missverständnis von Baupolitik, sich wegzuducken in einer Stadt wie Berlin, die, wie man sagt und sieht, nie ist, sondern immer wird.

Was kann man tun? Kurzfristig die Zitrone für den hässlichsten Neubau wieder einführen. Letzter Preisträger: das Haus des Zahlenlottos in der Brandenburgischen Straße. Ab September: Die Ressorts Stadtentwicklung und Kultur zusammenführen, in der kommenden Senatsregierung. Beides könnte helfen.

Der Autor ist Mitglied der CDU-Fraktion und Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses.

Uwe Lehmann-Brauns

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