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POSITIONEN: Jugendgewalt ist kein Ausländerproblem

Für die Folgen misslungener Integration sind beide Seiten verantwortlich. Ein Kommentar von Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen.

Die brutale Attacke zweier Jugendlicher auf einen Rentner in der Münchner U-Bahn hat eine bundesweite Debatte über Jugendgewalt entflammt, die von Demagogen oder wahlkämpfenden Populisten wieder einmal zum „Ausländerproblem“ verkürzt wird. Es stimmt, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund prozentual häufiger in Gewalt verwickelt sind, da gibt es nichts zu beschönigen. Es stimmt aber auch, dass sie weit häufiger von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind.

Ausländische Herkunft allein führt nicht zu mehr Gewalt und Kriminalität. Wohl aber bestimmte Milieus, denen solche Täter meist entstammen. Besonders dort fehlt es jungen Menschen oft an Vorbildern, die sie respektieren und an denen sie sich orientieren können. Es fehlt ihnen überhaupt an Perspektiven, an positiven Lebenserfahrungen und einem Selbstwertgefühl. Je mehr sich diese sozial benachteiligten Milieus etablieren, desto gravierender wird die Gewaltproblematik. Gewalttaten wie die jüngsten können wir nur verhindern, indem wir soziale Bedingungen schaffen, die solchen Taten den Nährboden entziehen.

Auch in der dritten Generation wird den Jugendlichen von der Mehrheitsgesellschaft oft vermittelt, dass sie nicht wirklich dazugehören; dass sie vielleicht den deutschen Pass haben, aber trotzdem keine „echten“ Deutschen sind und nie sein werden. Vielen „Bio-Deutschen“ fällt es schwer, sich „Deutschsein“ anders als durch deutsche Vorfahren vorzustellen. Immer noch hängen zu viele an der Lebenslüge, Deutschland sei kein Einwanderungsland.

Die beste Prävention gegen Jugendgewalt ist eine gute Bildung. Investitionen in Bildung, individuelle Förderung und echte Bildungschancen, sind wichtige Bausteine dafür. Neben der Stärkung der Bildungseinrichtungen, der Jugendhilfe und der Jugendgerichte sowie der Vernetzung dieser Institutionen, ist auch die Förderung und Einbindung der Eltern notwendig.

Andererseits müssen Migrantencommunities akzeptieren, dass sie nicht auf ewig überholte Wertvorstellungen und Rollenmuster beibehalten können. Patriarchalische Familienverhältnisse und eine verbreitete Machokultur sind in Verbindung mit Bildungsmangel, wirtschaftlicher Chancenarmut und dem Gefühl, ohnehin ausgeschlossen zu sein, ein giftiges, Gewalt begünstigendes Amalgam. Diese Machokultur und der entsprechende Erziehungsstil sind nicht mit unseren Werten vereinbar. Es geht nicht an, dass Söhne ihre Identität hauptsächlich über ständige Gewalterfahrung und Dominanzstreben entwickeln und Töchter lebenslang unter der Fuchtel ihrer Väter, Brüder und Ehemänner zu stehen haben. Ehre, Identität und Glauben tut es keinen Abbruch, wenn Migrantencommunities sich aus eigenem Antrieb der Erkenntnis öffnen, dass jegliche Art von Gewalt abzulehnen ist und dass Mädchen und Frauen dasselbe Menschenrecht auf Selbstbestimmung haben wie Männer.

Integration ist ein wechselseitiger Prozess, für dessen Gelingen wir alle verantwortlich sind. Die Pflichten der Mehrheitsgesellschaft und die der Minderheiten sind dabei zwei Seiten derselben Medaille!

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