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Berlin: Positiv glauben

Elisa Klaphecks Großvater starb in Auschwitz. Sie wurde jetzt zur Rabbinerin geweiht. Sie will die Konflikte zwischen den Religionen offen angehen und wegkommen von der Fixierung auf den Holocaust

Die Rabbinerin empfängt den Gast in Schlabber-T-Shirt und Jogginghose. Am Sonntag hat sie ihre Rabbinerweihe gefeiert. Rund hundert Freunde, darunter auch Barbara John und Marieluise Beck, die Ausländerbeauftragte des Bundes, waren dabei. „Es ist spät geworden.“ Aber müde scheint sie nicht zu sein, so viel hat sie zu erzählen. Und das mit klaren Worten und großen Augen, aus denen einen Neugier anspringt.

41 Jahre ist die neue Rabbinerin alt und überzeugte Feministin. Elisa Klapheck hat jahrelang als Journalistin für die Tageszeitung „taz“ und den Tagesspiegel gearbeitet und als Sprecherin die Jüdischen Gemeinde Berlin vertreten. Noch bevor sie dazu kommt, sich für den Fotografen umzuziehen, während sie mit einer Hand Kaffee kocht und mit der anderen eine Zigarette anzündet, ist Elisa Klapheck mittendrin in dem, was sie antreibt: Sie spricht von den 50 Jüdinnen, Musliminnen und Christinnen, die sie zusammengebracht hat und mit denen sie regelmäßig über die Unterschiede der Religionen streitet. „Da geht’s zur Sache, alles kommt auf den Tisch.“ Ganz nach Klaphecks Geschmack. „Wir können nicht länger so tun, als wären wir alle Brüder und Schwestern, wenn sich ein Teil der Welt mit uns im Krieg befindet.“

Stoppstopp. Muss sich eine Rabbinerin nicht ums Beten kümmern und um den Draht zu Gott? „Ja, aber anders als ein christlicher Priester“, sagt Klapheck. „Es geht bei uns nicht so sehr um Innerlichkeit und das Einssein mit Gott. Diskutieren und streiten, Widerspruch und Vielfalt, das ist die Essenz des Judentums.“ Nur sei das mit der Vielfalt in Deutschland noch nicht so weit. Aber genau deshalb sei sie ja Rabbinerin geworden: Um für ein lebendiges Judentum zu kämpfen. Das Säkulare, Politische will sie mit dem Religiösen zusammenbringen.

Es klingelt. Zwei Polen von einem Forschungsinstitut in Breslau holen Bücherkisten ab: Klaphecks Holocaust-Literatur. Sie winkt ihnen hinterher und strahlt. „Ich wollte diese ganzen Beschreibungen aus den KZs nicht mehr in der Wohnung haben.“ Das heiße aber nicht, dass sie die Erinnerung daran entsorgen will. Sie erklärt es so: „Als kleines Mädchen wurde ich gezwungen, an Yom Kippur in die Synagoge zu gehen, weil meine Mutter an ihren in Auschwitz ermordeten Vater dachte. Der Holocaust war immer der Bezugsrahmen für unsere Religiosität. Jetzt gehe ich gerne in die Synagoge, weil ich einen neuen Rahmen gefunden habe.“ Der Holocaust bleibe als Bruch immer bestehen. „Aber daraus müssen wir eine neue Theologie entwickeln, eine, die uns auf positive Wege führt.“

Die Religiosität schlummerte in der engagierten Frau mit der kräftigen Stimme schon lange. Als Politikstudentin in Hamburg gründete sie eine Thoragruppe, lernte Hebräisch. Später studierte sie an der FU Judaistik. Der eigentliche Kick aber kam mit der Arbeit an einer Biographie über Regina Jonas, die weltweit erste Rabbinerin. Sie wurde 1935 geweiht. „Es war wie ein Rausch. Sie war meine Lehrerin.“ Danach ließ sie die Religion nicht mehr los. Das Rabbinerdiplom bekam Klapheck nach einem Fernstudium am „Aleph“-Rabbinerseminar in den USA. Aber selbst im Jahr 2004 ist eine Frau im Rabbineramt nichts Selbstverständliches. Klapheck ist die erste Jüdin, die nach dem Krieg in Deutschland aufgewachsen ist und diesen Schritt tat. In Berlin arbeitet sie erst einmal freiberuflich. Und mit dem Studium geht es jetzt erst richtig los. 3000 Jahre Auslegungsgeschichte. „Da lernt man sein Leben lang.“

Claudia Keller

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