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Post: Die Geheimdienstleistung

Drei Tage lang kommt kein Briefträger – und das mitten in der Berliner City: Was läuft schief beim gelben Service-Unternehmen? Wie ich bei der Berliner Post zur Selbsthilfe griff. Eine Fallstudie.

Kürzlich bin ich in ein Berliner Postamt eingebrochen. Nein, nicht richtig eingebrochen. Aber: konspirativ eingedrungen. Das schon. Denn wir haben bei uns in Charlottenburg seit drei Tagen keine Post mehr bekommen. Selbst im E-Mail-Zeitalter fällt das noch auf, mitten in der Großstadt eine halbe Woche lang ohne Post. Auch den Nachbarn, auch einer Anwaltskanzlei im Haus ging es nicht besser. Überall wirbt die Post mit dem Brief im Kasten, am nächsten Tag. Also fahre ich morgens zu meinem Postamt in der Charlottenburger Goethestraße und stehe in der Warteschlange.

Am Tresen meint dann eine freundliche Dame: „Da müssen Sie beim Service anrufen!“ Ich sage, wir würden es immer häufiger erleben, dass der Briefträger mal einen Tag ersatzlos ausfalle. Aber gleich drei Tage ohne Post, das sei etwas Neues, und deshalb wolle ich jemand Verantwortlichen sprechen. Das gehe nur per Telefon, sagt die Dame und schreibt mir eine 0180er-Nummer auf. Ich bedanke mich, möchte indes keine Probleme hier im Haus mit einem Callcenter in Ingolstadt oder Aserbaidschan besprechen. Es müsse an diesem Ort, wo man für die Briefverteilung in meinem Postleitzahlbezirk zuständig sei, doch wohl einen leibhaftigen Menschen geben, der das im Auge habe. Und den man im 21. Jahrhundert zumindest direkt anrufen könne.

Wenn es diesen Menschen gebe, dann sei er trotzdem nicht zu sprechen. – Ich denke, ich bin bei Kafka (oder bei der Telekom), und mache einen letzten Versuch: Wo bitte arbeiten sie denn, Ihre Briefverteiler und die Boten-Aufsicht? Das sind doch nicht alles schon Roboter!? Die geduldige Dame sagt nun: „Ich weiß es nicht, vielleicht ist es nebenan. Wir sind hier ja auch kein Postamt mehr.“ Kein Postamt mehr? Trotz Marken, Briefen, Paketen in der ganzen Halle und dem schwarz-gelben Posthorn draußen über dem Eingang? „Nein, wir gehören zur Postbank.“ Der sich an allen Schaltern vollziehende Postbetrieb ist offenbar nur noch eine Art Synergie-Schauspiel. Fast schon eine Potemkinsche Post. Ein Postbank-Derivat.

Trotzdem muss es die Deutsche Post AG mit ihren laut Eigenwerbung 160 000 realen Mitarbeitern doch irgendwo geben. Ich kehre auf die Goethestraße zurück und gehe durch die Einfahrt neben der Postbankpost vorbei an einer Schranke und einem verlassenen Wärterhäuschen in den Innenhof des gründerzeitlichen Backsteingevierts. Dort stehen Postwagen und Postcontainer herum, in einer offenen Garage auch zahlreiche Postfahrräder. In alter Druckschrift gibt es in allen Himmelsrichtungen „Aufgänge“. Der „Aufgang A“ gehört zu einem lila annoncierten spirituellen Yoga-Institut, daneben eine gerade geschlossene „Geschäftspostannahme“. Ich frage einen auf der Mitte zwischen Yoga und Geschäft parkenden Postausfahrer, ob es für Briefe und Pakete nicht eine Zustellabteilung gebe. Der Mann schaut mich an, kratzt sich am Kopf und deutet in die entgegengesetzte Hofecke, zum „Aufgang D“.

„Versuchen Sie mal, ob Sie dort einen antreffen, der Sie reinlässt, da ist normalerweise alles verschlossen.“ Ich gehe zum Aufgang D, eine muffige Einfahrt, eine graue Blechtüre, daneben Klingelschilder und Handgemaltes von sonderbaren Firmen mit englischen „Concept“-Namen und die Klingel für einen „Raum 204“. Die Türe ist offen, ein schäbig schmuckloses Treppenhaus und ein Lastenlift. Im ersten Stock sehe ich wieder eine graue Blechtüre, diesmal mit einem Code-Schloss, die sich gerade schließt. Aber ich kriege noch einen Fuß in die Tür. Auch hier steht außen nichts dran von der Deutschen Post, die sich als privatisierter ehemaliger Staatsbetrieb überall rühmt, eines der modernsten und weltgrößten Dienstleistungsunternehmen zu sein.

Drinnen sieht es tatsächlich nicht nach einem Weltunternehmen aus. Fahles Licht, trübe Wände, lange nicht gestrichen, durch den Gang schleicht eine Frau, die mich ansieht wie ein Gespenst. Ich sage guten Tag, sie fragt, wie ich hier reingekommen sei. Ich nenne meine Adresse und sage, dass ich seit drei Tagen keine Post mehr erhalten habe. Ob hierfür jemand zuständig sei. Die Frau schüttelt stumm den Kopf, murmelt etwas von „Moment mal“ und schleicht zu der grauen Code-Tür, verschwindet hinter ihr.

Ich stehe vor ihrem offenen Büro mit ergrautem Kaffeekocher, ergrauten Akten, müdem Dauergrün. Post-Moderne, die verborgene Niederlassung eines Dax- Konzerns. Gegenüber an der Wand ein Pinnbrett mit der Aufforderung an die Mitarbeiter, eigene Vorschläge zu machen, wie die Deutsche Post „noch effizienter“ werde. Denn man wolle sich auf den eigenen Erfolgen nicht ausruhen. Hier freilich ruht gerade alles, auf dem Stock herrscht völlige Stille. Bis die Blechtüre sich wieder öffnet und hinter der leisen Frau ein etwas lauterer, massiger Herr mit geöffnetem Schlips hereinstürmt. Wer ich sei, was ich hier zu suchen habe?! Er ist der Zustellungsleiter, in Person.

„Ich habe nichts zu suchen, sondern bin Ihr Kunde – und möchte eine Erklärung finden: warum wir in Berlin-Charlottenburg seit drei Tagen keine Post erhalten.“ Für den Zustellungsleiter ist dieses Eindringen, ganz klar, ein Sakrileg. Offenbar eine Abschirmungslücke. In seinem Büro hängt ein riesiger Stadtplan, gegenüber Kärtchen wohl mit dem Namen der verschiedenen Zusteller, ein älterer Computer, Thermoskannen, die Zimmerpflanze, das ganze Amtsstubenprogramm. Behördeninterieur. Aber man ist ja seit über zehn Jahren gar keine Behörde mehr. Deshalb knurrt auch der Abteilungsleiter eine Art „Moment mal“, notiert meinen Namen und rauscht ab durch die Code-Tür. Und kommt fünf Minuten später mit einem gummiverschnürten dicken Bündel Briefe. Unsere ganze vermisste Post.

„Ein Zusteller wurde krank, kein Einzelfall. Ich kann die Leute ja nicht länger als 10 Stunden arbeiten lassen“, schnauft der gute Mann, „da bleibt schon mal was liegen.“ Ich gehe dankend ab, durch die graue Tür. Eine Notwehraktion.

Die Deutsche Post AG mit Hauptsitz in Bonn, die sich mit den Eintage-Laufzeiten der ihr anvertrauten Briefe rühmt und eine Pünktlichkeitsquote in Berlin von 94, 5 Prozent behauptet, sie verspricht in ihrer Werbung, was sie immer häufiger nicht hält. Die Briefzusteller klagen über Unterbesetzungen und zu große Zustellbereiche, sie erzählen vertraulich, dass sie Großkunden und Werbesendungen bevorzugen müssten. Deshalb kommen in Teilen Berlins wie in Charlottenburg (nahe dem Kurfürstendamm) Briefe auch an normalen Tagen nicht mehr vor 15 Uhr an – Firmen zum Beispiel können ihre Geschäftspost dann meist nicht mehr am selben Tag bearbeiten. Dagegen spricht die Post auf ihren Internetseiten von höchster Professionalität, die für „zufriedene Absender und Empfänger“ sorge. Im Postton: „Unser Qualitätsmanagement behält die Übersicht und sucht ständig nach Arbeitsabläufen, die sich noch verbessern lassen.“

Ich fürchte, das Bonner Qualitätsmanagement sitzt sehr weit oben. Weit über dem kleinen Charlottenburg und selbst dem großen Berlin. Zur Übersicht sollte vielleicht erst mal die Einsicht kommen. In die Realität. Und zur Kundennähe die Transparenz. Wenn ein Postamt heute zur Fassade wird und eine simple Dienstleistungsstelle zur Geheimdienststelle, dann fühlt man sich schon: ins Posthorn gejagt.

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