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Berlin: Potsdam wählte – gleich doppelt

Neben dem Bundestag musste auch der Oberbürgermeister neu bestimmt werden. Da stand mancher lieber früh auf

Gerhard Schröder sollte nicht Kanzler bleiben, sagt der ältere Herr resolut, der gerade aus dem Wahllokal in der Potsdamer Gerhart-Hauptmann-Grundschule kommt. Sein Argument: „Ich bin seit sieben Jahren arbeitslos. Haben Sie schon mal einen Arbeiter gesehen, der reich geworden ist?“ Wie sei das, bitte schön, zu verstehen? „Ist doch klar: Man muss CDU wählen, auch wenn der Stoiber nicht der richtige Fritze ist." Ja, die Logik des Ost-Wählers ist manchmal unergründlich.

Trotzdem, Schröder-kritische Stimmen sind im „roten Potsdam“, wo die SPD seit 1990 den Bundestagswahlkreis immer gewann, eine Ausnahme. „Er ist immer noch besser als der von der CDU“, sagt etwa André Böger, ein junger Arbeitsloser, der es zudem bedauern würde, „wenn die PDS aus dem Bundestag fliegt“. Oder der rüstige Rentner, der ohne Umschweife sagt: „Der Bayerngockel gefällt mir nicht.“

Es ist gegen 10 Uhr an diesem nasskalten Wahlsonntag. Und trotzdem herrscht in den 99 Wahllokalen der brandenburgischen Hauptstadt bereits am Morgen erstaunlich reger Betrieb, ob in Potsdam-West oder in Babelsberg, wo PDS-Kandidat Rolf Kutzmutz schon um neun Uhr seine Stimme abgab.

In der Gerhart-Hauptmann-Grundschule haben sich zwei Fernsehteams aufgebaut, die – das ist in Potsdam neu – erstmals auf eine prominente Unionspolitikerin warten: Katharina Reiche, Stoibers Kompetenzfrau für Familienpolitik, die, ganz in Familie, zum Wahllokal spaziert. Da sind Tochter Maria, ihr Lebensgefährte Sven Petke – CDU-Vizeparteichef in Brandenburg – mit einem knallbunten Regenschirm, und natürlich der Kinderwagen mit der erst wenige Wochen alten Tochter Elisabeth. Reiche wird gleich neben der Wahlurne interviewt. Sie prophezeit ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“. Als einige Umstehende irritiert gucken, geht Wahlvorsteher Martin Schmidt-Roßleben streng dazwischen: „Keine Interviews im Wahllokal.“

In Babelsberg, im Wahllokal Plantagenstraße, ist man am Mittag da weniger päpstlich, als Ministerpräsident Matthias Platzeck extra für die ORB-Kamera aus einer Dose mit bunten Süßigkeiten sein Wunschwahlergebnis ziehen darf – eine rote Kugel. Er brauchte nur von seinem Wohnhaus schräg über die Straße zu eilen, im Sturmschritt, mit dem Regenschirm in den rot-weißen Landesfarben, und ist der 400. Wähler dieses Wahlbezirks. Jeder Dritte hat hier bereits gewählt. „Wäre es nicht schade für Ostdeutschland, wenn die PDS aus dem Bundestag fliegt?“, wird er gefragt. Er sei dafür, antwortet Platzeck, dass die SPD möglichst viele Stimmen bekommt und Schröder Kanzler bleibt.

Dann noch ein Wort zur Oberbürgermeisterwahl, zu den Vorwürfen, die der „Spiegel“ wegen eines angeblich dubiosen Immobilienverkaufs an den Gewoba-Geschäftsführer gegen ihn und seinen Wunschnachfolger Jann Jakobs erhoben hat. „Es war ein ganz normaler Vorgang", sagte Platzeck. Der Kaufpreis habe über dem Verkehrswertgutachten gelegen. „Kein Schnäppchenpreis.“ Dennoch, wird die Geschichte Jakobs schaden? Wer weiß. Platzeck wird, wie alle Potsdamer, gebeten, seine Wahlbenachrichtigungskarte wieder mitzunehmen. „Falls es zur Stichwahl kommt.“ Davon geht CDU-Kandidat Wieland Niekisch aus. Dann wäre die OB-Entscheidung auf den 27. Oktober verschoben. Für Niekisch allemal ein besonderes Datum: Dann soll seine Frau ihr Kind bekommen. Thorsten Metzner

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