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Berlin: Potsdams Beverly Hills

Von Neubabelsberg blickt man weit über den Griebnitzsee – das zog seit 1902 die große Welt an. Die prächtigen Villen der Filmstars und Bankiers erzählen von erotischen Eskapaden und hoher Politik

Die Geschichte ist drehbuchreif und gewiss übertrieben – aber sie wird immer wieder gerne erzählt: Die Hauptfiguren waren in den 30er Jahren der populäre Schauspieler Gustav Fröhlich, seine Geliebte, die tschechische Schauspielerin Lida Baarova und der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels.

Gustav Fröhlich war durch seine Rolle in Fritz Langs „Metropolis“ zum Star geworden. Auf dem abendlichen Heimweg vom nahen Ufa-Studio zu seiner Villa in der heutigen Karl-Marx-Straße 8 soll er seine Geliebte schmusend mit Goebbels am Waldrand erwischt und dem Politiker kräftig eine gelang haben.

Goebbels hatte sich damals schon den Ruf als „Bock von Babelsberg“ erworben – nach einer Reihe von Affären. Es begann in den 20er Jahren mit seiner Anstellung als Hauslehrer in der Familie des Großindustriellen Günther Quandt in der Virchowstraße 1-3. Er kümmerte sich nicht nur um die Erziehung der Kinder, sondern auch um die zweite Ehefrau des Industriellen, Magda, die er ihm ausspannte und heiratete.

Die Nähe der Filmstudios und die Feste in der Villenkolonie, an denen viele Ufa-Sternchen teilnahmen, führten auch in anderen Haushalten zu Eskapaden. Doch die Geschichte der Villenkolonie Neubabelsberg und ihre Geschichten begannen schon lange vor dem Bau der Filmstudios. 1872 erhielten die Regierungsbauräte Wilhelm Böckmann und Hermann Ende die Genehmigung zur Anlage einer Landhauskolonie am Griebnitzsee. Sie wollten reiche Berliner überreden, außerhalb der Stadt ihre Sommerhäuser zu errichten und lockten mit geringeren Steuern als in Berlin üblich.

Man parzellierte das Land, baute Straßen und schuf reizvolle Gartenlandschaften. Als Hauptstraße entstand die heutige Karl- Marx-Straße, die damals den Namen Kaiserstraße erhielt – in der Hoffnung, der Kaiser werde sie künftig auf der Fahrt vom Bahnhof zum Schloss Babelsberg benutzen, wovon sich die Grundstücksverkäufer einen Werbeeffekt versprachen. Der Kaiser dachte aber gar nicht daran und nutzte weiter andere Wege. Zehn Jahre nach Baubeginn standen erst 17 Häuser, der Erfolg blieb aus. 1902 verkaufte Wilhelm Böckmann seinen Anteil an die „Terraingesellschaft Neubabelsberg“ – und deren Management bewegte nun endlich, Industrielle, Wissenschaftler und Künstler zur Ansiedlung. Hoch über dem Griebnitzsee ließen sie sich ihre prächtigen Häuser von namhaften Architekten bauen.

Eine burgähnliche Villa hat Gustav Lilienthal, der Bruder des Flugpioniers, 1895 an der Karl-Marx-Straße 66 entworfen. Sie wurde zum Gästehaus der Ufa und diente Stars wie Heinz Rühmann oder Marlene Dietrich als Quartier. In den 30er Jahren profitierten dann die Schauspielerinnen Marika Rökk und Brigitte Horney von der „Arisierung“ jüdischer Häuser. Sie erwarben in Neubabelsberg Villen zu Spottpreisen.

Nach Kriegsende änderten sich die Lebensumstände in der Villenkolonie radikal. In der Karl-Marx- Straße 2 lebte bis dahin der Verleger Müller-Grothe. Eine seiner Töchter war Renate Müller, die Lieblingsschauspielerin des „Führers“. Kurz vor Beginn der Potsdamer Konferenz musste die Familie ihre Villa räumen, da während des Treffens US-Präsident Truman hier wohnte.

Mit Sicherheit wurden auch in diesem „Little White House“ wichtige Gespräche geführt, zumal die anderen Konferenzteilnehmer Stalin und Churchill ebenfalls in Neubabelsberg residierten.

Die britische Delegation bezog in der „Villa Urbig“ Quartier. Urbig war Aufsichtsratschef der Deutschen Bank und hatte sich das Haus 1915 vom Architekten Mies van der Rohe bauen lassen. Auch Josef Stalin, der für sich die „Villa Herpich“ konfiszierte, hatte wie die anderen Konferenzteilnehmer einen hervorragenden Blick auf den glitzernden See. Diese Villa gehörte einst einem Teppichfabrikanten, nun blieb sie bis in die 50er Jahre Sitz der sowjetischen Kommandantur.

Neben den Ergebnissen der Potsdamer Konferenz fielen in Neubabelsberg auch andere schwerwiegende Entscheidungen. Am 24. Juli gab US-Präsident Truman von hier aus den Befehl zum Abwurf der Uranbombe „Little Boy“. Sie explodierte am 6. August über Hiroshima.

Carl-Peter Steinmann

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