zum Hauptinhalt

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs: "Suchen Sie mal eine Region, der es so gut geht"

Er macht den Wowereit: Potsdam vergeigte 2012 ein spektakuläres Geschenk - eine internationale Kunsthalle. Die Schuld daran sieht Oberbürgermeister Jann Jakobs nicht bei sich. Im Tagesspiegel-Interview teilt Jakobs aus - und spricht über Potsdams Wachstum, die Mietenpolitik, Uferwege – und George Clooney.

Von

Herr Jakobs, das Jahr 2012 hätte für Potsdam ganz anders laufen können.

Warum das denn?

Weil es fast die spektakuläre Entscheidung gegeben hätte, das DDR-Hotelhochhaus „Mercure“ gegenüber dem Alten Markt abzureißen, um dort eine Kunsthalle zu bauen.

Ja, auch ich hätte das gern gesehen. Aber man darf 2012 in Potsdam nicht auf Hasso Plattners Kunsthalle reduzieren. Es ist eines der erfolgreichsten Jahre für die Landeshauptstadt gewesen. Ich jedenfalls bin hochzufrieden.

Wie sehen Sie jetzt, ein paar Monate später, das Drama um die Kunsthalle?

Ich habe versucht, Herrn Plattner davon zu überzeugen, mit der Kunsthalle auch das Problem Mercure zu lösen. Er wollte es, hat es am Ende aber wieder verworfen. Aufgrund des Widerspruchs, den er aus meiner Sicht überbewertet hat. Wir kennen das ja in Potsdam. Der Ausgang ist schade. Doch es wäre fahrlässig gewesen, den Versuch nicht zu unternehmen.

Sind Sie heute ein Stück klüger?

Wenn Sie mich damit fragen, was ich hätte anders machen sollen, müssen, dann fällt mir dazu nichts ein. Ich habe mir da nichts vorzuwerfen.

Sie sehen keine persönlichen Fehler?

Nein.

Was haben andere falsch gemacht?

Wäre die Diskussion von einer positiven Tendenz getragen gewesen, hätte eine Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen stattgefunden, dann wäre es vielleicht anders gekommen. Aber es ging um Stimmungen. Die sind aus politischen Gründen befeuert worden. Ich habe auch vermisst, dass sich der eine oder andere aus dem Land deutlicher für die Kunsthalle am Standort des Mercure positioniert.

Sie meinen damit einen, der einen speziellen Draht zu Potsdam hat, nämlich Ministerpräsident Matthias Platzeck.

Das würde ich nicht nur auf den Ministerpräsidenten beziehen.

Warum hat er geschwiegen?

Potsdam entwickelt sich zweifellos sehr erfolgreich, ist eine Ausnahmeerscheinung nicht nur in Brandenburg, sondern darüber hinaus. Das wird auch mit Neid, mit Argwohn betrachtet. Es kommt schnell die Frage auf: Was wollen die in Potsdam eigentlich noch alles?

Dennoch hätte Hasso Plattner in der Debatte mehr aushalten müssen?

Ja. Und das habe ich ihm auch gesagt.

Kurz nach seiner Absage brach es aus Ihnen heraus: Sie hätten geglaubt, dass Potsdam schon weiter sei.

Ich hatte nicht vermutet, dass es eine solche Emotionalität geben wird. Nüchtern betrachtet, ist es ja einfach: Da steht ein Hotel, das weder schön noch zukunftsfähig ist – und dann ist da jemand, der nicht nur bereit ist, das Gebäude zu kaufen, es abzureißen und damit eine städtebauliche Wunde zu heilen, sondern dort auch noch eine Kunsthalle hinsetzen will. Mir ist unerklärlich, wie man das nicht gutheißen kann, sogar dagegen mobilisiert.

Und die Conclusio?

Daraus lernt man, wie sehr in der Politik auch konservative Elemente eine Rolle spielen. Und dass dieses Konservative da verankert ist, wo man es zunächst nicht vermutet, nämlich bei den Linken. Die zeichnen sich in Potsdam ja sowieso dadurch aus: Immer, wenn es um städtebauliche Entscheidungen geht, sind sie die Ultrakonservativen. Nach dem Motto: Hier darf sich nichts verändern.

Nach der Brandrede von Günther Jauch

Die verpatzte Kunsthalle brachte bundesweit Schlagzeilen. Wirkt das nach?

Das hat sicher Verwunderung und Unverständnis ausgelöst. Aber ich glaube nicht an einen nachhaltigen Schaden.

Andere prominente Mäzene wie Günther Jauch haben sich danach ähnlich wie Hasso Plattner geäußert: Dass ihnen vielfach die Freude daran vergangen ist, sich in Potsdam zu engagieren. Dass sie eine ungute Stimmung wahrnehmen, eine Verwaltung erleben, die unsensibel agiert.

Ja, ja … es wird alles immer schnell mit der Verwaltung in Zusammenhang gebracht. Die ist immer schuld. Und dann wird stets auf Battis verwiesen. Ich halte das für ziemlich übertrieben.

Sie meinen den Staatsrechtler Ulrich Battis, der der Potsdamer Bau- und Denkmalbehörde eine systematische Willkürpraxis bescheinigte. Waren Sie es nicht, der ihn nach der Brandrede von Günther Jauch engagiert hat?

Natürlich, ich habe das auch nicht bedauert. Aber hier geht es um einen ganz anderen Konflikt, der innerhalb der Stadt ausgetragen wird. Und an dem hat die Verwaltung überhaupt keine Aktie. Ich kann auch nicht erkennen, dass wir unsensibel agiert hätten oder jemanden im Regen stehen ließen. Und ich habe nicht den Eindruck, dass jetzt alle möglichen Leute sagen: Mit Potsdam, also mit Potsdam wollen wir nichts mehr zu tun haben.

Sondern?

Ich nehme wahr: Potsdam hat nach wie vor ein sehr hohes Renommee. Das Engagement von vielen Menschen hat keinen Deut nachgelassen. Es war eine wichtige Debatte, die wir um die Kunsthalle geführt haben. Wir haben eine Chance vertan, eine städtebaulich komplizierte Situation zu lösen – aber das ist es dann auch.

Sie empfinden die Reaktionen danach nicht als Warnsignal?

Nein.

Das Drama belastet nicht das Verhältnis zwischen Neu- und Alt-Potsdamern?

Natürlich spielen Stimmungen in diesem Verhältnis eine Rolle. Aber man kann nicht die Schlussfolgerung daraus ziehen, solche Debatten wie um die Kunsthalle von vornherein nicht mehr zu führen. Man bekommt sie in Potsdam doch überall.

Wo verlaufen Ihrer Ansicht nach die Fronten in Potsdam, die Leidenschaftslinien?

Das mischt sich, es geht keineswegs immer Alt- gegen Neu-Potsdamer. Das ist je nach Sachlage sehr unterschiedlich.

Dennoch, gerät da zwischen Alt- und Neu-Potsdamern, die zwei Jahrzehnte gut miteinander auskamen, womöglich etwas aus dem Gleichgewicht?

Nein, überhaupt nicht.

Obwohl der ungebrochene Zuzug zu massiven Problemen führt, vor allem zu Wohnungsmangel und explodierenden Mieten?

Sie erklären das mit einer Grabesstimme! Als wäre die Welt kurz vor dem Untergang. Das ist so typisch in Potsdam. Ich will hier einmal festhalten: Das Wachstum beweist die unheimlich erfolgreiche Entwicklung Potsdams. Die Menschen wollen unbedingt in diese Stadt ziehen. Wegen der Atmosphäre, der Arbeitsplätze, der Infrastruktur. Und das eigentlich Tolle dabei ist: Die Bevölkerung wächst jährlich um rund 1,5 Prozent und die Anzahl der Arbeitsplätze um das Doppelte bis Dreifache. Suchen Sie mal eine Region, der es so gut geht! Die gibt es in Brandenburg sowieso nicht, die kann man in der ganzen Bundesrepublik an einer Hand abzählen. Daraus resultieren natürlich große Herausforderungen. Ich habe in meiner Rede nach der Wiederwahl bereits gesagt, worauf es in den nächsten Jahren ankommen wird ...

... das Wachstum zu meistern.

Genau, und das kann man nicht mit hohlen Sprüchen, nicht ideologisch orientiert, das muss man pragmatisch angehen. Das heißt: Wenn Menschen herziehen, dann brauchen wir Wohnungsneubau. Wir bereiten deshalb die nötigen Entscheidungen vor, um in den nächsten Jahren rund 16 000 Wohnungen neu bauen zu können, im Bornstedter Feld, in Krampnitz, am Brauhausberg, in der Speicherstadt, an der Heinrich-Mann-Allee und an einigen vereinzelten kleineren Standorten. Und natürlich müssen wir uns mit der Höhe der Mieten auseinandersetzen. Da sage ich ganz klar: Jede Kommune ist überfordert, wenn sie glaubt, den Neubau subventionieren zu können, damit es niedrige Mieten gibt. Da überhebt sich jede Stadt.

Sie hissen die weiße Fahne?

Nein, wir müssen uns auf etwas anderes konzentrieren. Wir müssen dafür sorgen, dass die Mieten im Wohnungsbestand möglichst niedrig bleiben. Da haben wir Möglichkeiten. Eine der wirksamsten ist, dass wir dank einer Vereinbarung mit dem Land Mieten für 1200 Wohnungen unserer städtischen Wohnungsbaugesellschaft subventionieren können. Und im Januar werden noch einmal so viele Wohnungen dazukommen.

"Wir können nicht Wohnungsneubau subventionieren"

Die Berliner SPD hat gerade angekündigt, Investoren zum Bau von Sozialwohnungen zu zwingen. Warum geht in Potsdam nicht, was in Berlin möglich scheint?

Weil Wohnungsbauförderung primär eine Landesaufgabe ist. In Brandenburg haben wir auf Landesebene kein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass die besondere Wachstumssituation Potsdams besonderer Regelungen bedarf.

Sie haben auf die begrenzten finanziellen Möglichkeiten einer Kommune verwiesen, doch muss Potsdam in Schulen, Kitas, Straßen, Infrastruktur, günstige Mieten investieren. Ist eine ausgewogene Entwicklung bezahlbar?

Wir sind dazu in der Lage. Allerdings nur, wenn wir eine eiserne Haushaltspolitik betreiben. Wir müssen nicht nur möglichst schnell zu einem ausgeglichenen Haushalt kommen, sondern Überschüsse

erwirtschaften. Richtig ist, dass wir nicht alles machen können. Wir können nicht Wohnungsneubau subventionieren.

2012 war für Sie das zehnte Jahr im Amt des Potsdamer Oberbürgermeisters. Wie haben Sie die Stadt, die Sie 2002 übernommen haben, geprägt?

Es ist gelungen, die positive Entwicklung Potsdams zu stabilisieren und die wichtigsten Entscheidungen herbeizuführen – vor allem für die Potsdamer Mitte. Da war vor zehn Jahren ja alles offen. Ich hatte mir 2002 nicht vorstellen können, dass wir zehn Jahre später kurz vor der Eröffnung des Landtagsneubaus in Gestalt des Stadtschlosses stehen würden. Das hinbekommen zu haben, darauf bin ich mächtig stolz. Auch die wirtschaftliche Entwicklung übertrifft alle Erwartungen. Die Perspektiven sind klasse. Manche Entscheidungen – wie die zum Hotel

Mercure – kommen nicht gleich, aber dann eben in fünf oder sechs Jahren. Da muss man einen langen Atem haben. Den habe ich, und damit ist die Stadt offensichtlich ganz gut gefahren.

Hätten Sie damals gedacht, dass Sie das zehn Jahre machen?

Nein. Solche Perspektiven kann man in der Politik nicht haben. Ich hatte mir eine Wahlperiode vorgenommen. Ich weiß noch genau, wie der heutige Sozialminister Günter Baaske mir damals zur Amtseinführung sagte: Jann, du musst nicht acht, du musst 16 Jahre machen. Da habe ich gesagt: Nein, das ist ja eine Fron!

Warum das?

Ganz einfach: Sie haben acht Jahre vor sich, das ist eine irre lange Zeit. Und Sie wissen nicht, ob Sie das politisch überleben, die gesundheitliche Stabilität haben und die Motivation. Bei mir hat es sich gut gefügt.

Wie haben Sie sich verändert?

Nicht allzu viel, hoffentlich. Aber die Frage ist ja, wie man von außen gesehen wird und wie man sich selber erlebt. Ich bin von Hause aus Sozialpolitiker und habe mich in viele Felder neu einarbeiten müssen. Matthias Platzeck als mein Vorgänger hat riesige Fußstapfen hinterlassen, mit der Ausstrahlung, die er hat. Ich musste meinen eigenen Weg finden. Dass es mir nicht gelingt, davor hatte ich damals am meisten Angst. Ich bin ein anderer Typ als Platzeck. Aber ich nehme für mich in Anspruch, diese Aufgabe als Oberbürgermeister zu erfüllen und die Stadt richtig gut vorangebracht zu haben.

Fällt Ihnen immer noch etwas schwer?

Eigentlich nicht. Was mir richtig Spaß macht an dem Job, immer noch, ist die Vielfältigkeit, die Spannbreite. Manchmal ist sie an einem einzigen Tag so groß, dass ich abends sage: Das ist grandios!

Und wie oft haben Sie gedacht, es wäre doch besser, einen anderen Job zu haben?

2011 war mit der Stadtwerke-Affäre eines der härtesten Jahre. Da habe ich mich schon gefragt, ob ich die zweite Amtszeit hätte machen sollen. Aber das geht auch wieder vorbei. Und wenn man daraus die richtigen Schlüsse zieht, kann es ein heilvoller und produktiver Lernprozess sein.

Offen für Rot-Rot? Keine Tabus!

Was haben Sie sich für die verbleibenden sechs Jahre Ihrer Amtszeit vorgenommen?

Ich will, dass Potsdam sein Wachstum weiter meistert, in sozialer Balance. Ich will erleben, dass in der Mitte die Alte Fahrt fertig, eine Synagoge gebaut und die Fachhochschule abgerissen wird. Ob ich als aktiver Oberbürgermeister noch erlebe, was mit dem Mercure geschieht – na, mal sehen. Ich will, dass wir bei der Bürgerbeteiligung noch weiter kommen. Der Diskussionsprozess dazu, der ja zäh anfing, muss zu Ende gebracht werden. Wir werden das angekündigte Büro für Bürgerbeteiligung einrichten. Die Menschen müssen rechtzeitig eingebunden werden, sollen mitentscheiden, so wie es beim Standort für Potsdams künftiges Bad geschehen ist.

Geben Sie uns zu den Potsdamer Dauerbrennern bitte Ihren Ausblick auf 2013. Erstes Stichwort: Uferwege.

2012 haben wir den Bebauungsplan für das Griebnitzsee-Ufer beschlossen. Ich vermute, dass es darüber gerichtliche Auseinandersetzungen geben wird. Wir werden aber dennoch anfangen, erste Teilabschnitte des Ufers so herzurichten, dass man wieder ans Wasser kommt. Wir werden vereinzelt mit Grundstückseigentümern Wegerechte vereinbaren. Am Groß Glienicker See werden die laufenden Enteignungsverfahren Ende 2013 vermutlich ins finale Stadium treten.

Stichwort neues Schwimmbad.

Zunächst wird es den städtebaulichen Wettbewerb für den Brauhausberg geben. Parallel läuft die Vorbereitung für den Badbau. Ende 2013 sollten wir wissen, was und wie ab wann gebaut wird, was mit dem früheren Minsk-Restaurant und der alten Schwimmhalle passiert.

Wie sehen Sie es: Bleiben Minsk und Schwimmhalle gegenüber dem Hauptbahnhof?

Nein.

In zwei Jahren ist Kommunalwahl. Mit welchen Mehrheiten wollen Sie dann regieren?

Die Karten werden neu gemischt, wechselnde Mehrheiten will ich möglichst vermeiden. Das wäre die allergrößte Notlösung.

Sie wären offen für Rot-Rot?

Für mich gibt es da keine Tabus. Die Linke ist hier zwar ziemlich konservativ, aber kein ideologisch verblendeter Verein, da kann man pragmatische Politik machen. Womit ich nicht sagen will, dass ich auf Rot-Rot zusteuere. Aber ausschließen will ich es nicht.

Nun ist vor einigen Wochen etwas passiert, was symptomatisch für den Zustand Ihrer Verwaltung scheint: Da besichtigt der Hollywood-Star George Clooney das Rathaus als möglichen Drehort für seinen nächsten Film, und Sie erfahren nichts davon.

Wissen Sie, hier kommen so viele Prominente, und ich hätte viel zu tun, wenn ich bei allen ...

... das ist nicht Ihr Ernst.

Nun ja, ehrlich gesagt: Ich war platt, als ich im Nachhinein davon gehört habe. Einige Wochen vorher hatten Mitglieder der Filmcrew sogar mein Büro besichtigt. Damals hatte ich schon gesagt, dass ich hoffe, dass ich da bin, falls er persönlich kommt. Dazu ist es leider nicht gekommen. Es gibt eben auch nach zehn Jahren immer noch Überraschungen in diesem Rathaus.

Das Interview führten Sabine Schicketanz und Peer Straube

VON GANZ OBEN

Potsdam, die erfolgreiche Landeshauptstadt – der ganze Zauber der Potsdamer Gartenlandschaften mit den Schlössern Sanssouci, Neues Palais, Charlottenhof und Babelsberg erschließt sich in den Luftbildaufnahmen von Dirk Laubner. Das neue Buch mit spektakulären Fotografien von der Innenstadt dokumentiert die Veränderungen im Herzen der Stadt und zeigt auch Potsdams Umgebung.

DER AUTOR

Dirk Laubner geht seit über 20 Jahren regelmäßig in die Luft – mit dem Hubschrauber oder dem Flugzeug. Gerade neu herausgekommen ist im Nicolai-Verlag auch ein Band mit Luftbildfotos aus Berlin. Von Laubner sind zudem Bücher über Usedom, Dubai oder Abu Dhabi erhältlich. Der 51-jährige Fotograf lebt in Berlin.

DAS NEUE BUCH

Potsdam aus der Luft fotografiert“, Nicolai-Verlag, 128 Seiten, ISBN 978-3-89479-734-8

Preis: 16,95 EUR. Das Buch ist auch im Tagesspiegel-Shop am Askanischen Platz 3 in Kreuzberg erhältlich (Mo.-Fr. von 9 bis 18 Uhr).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false