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Berlin: Praxisgebühr: Noch stimmt die Zahlungsmoral

Mit seinem Urteil macht es das Düsseldorfer Sozialgericht den Verweigerern leichter. Kassenärzte fürchten Ärger im nächsten Quartal

Von Sandra Dassler

Schon am Tag nach dem Urteil des Düsseldorfer Sozialgerichts zu den Praxisgebühren gab es Ärger. Die Sprechstundenhilfe von Wolfgang Schwalm, der als Facharzt für Innere Medizin und Hausarzt in der Nähe des Tempelhofer Attilaplatzes praktiziert, erzählt von einem erbosten Patienten. Der sei am Morgen hereingestürmt und habe eine Zeitung auf den Tisch geknallt: „Hier steht es: Wer zahlt, ist der Dumme. Im nächsten Quartal bekommen Sie keine zehn Euro mehr von mir.“ Über das Urteil der Düsseldorfer Richter kann die Sprechstundenhilfe nur den Kopf schütteln: „Wenn Zahlungsverweigerer weder Verwaltungs- noch Gerichtskosten übernehmen müssen, werden es sich manche überlegen, ob sie weiterhin die zehn Euro Praxisgebühr zahlen.“

In den Berliner Arztpraxen waren solche wütenden Reaktionen gestern aber die Ausnahme. „Das kann auch daran liegen, dass die meisten Patienten für dieses Quartal schon bezahlt haben“, sagt Burkhard Bratzke, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Vereinigung: „Wenn am 1. April das neue Quartal beginnt, könnte es schon sein, dass mehr Menschen als bisher die Praxisgebühr verweigern.“

Bratzke bestätigt, was auch viele niedergelassene Ärzte erzählen: Die meisten Berliner sind ehrlich. Auch in den sozialen Brennpunkten mit hohem Arbeitslosen- und Ausländeranteil liegt die Zahl der Verweigerer bei 0,5 Prozent. „Gerade mit Ausländern gibt es kaum Diskussionen“, sagt Bratzke: „Die sind es meist von ihren Heimatländern her gewohnt, dass man etwas bezahlen muss, wenn man zum Arzt kommt.“ Große Probleme gäbe es hingegen nach wie vor mit den Erste-Hilfe-Stellen der Krankenhäuser. Dort kann man die zehn Euro in der Regel nicht gleich zahlen. Die Patienten erhalten einen Einzahlungsbeleg, von dem viele keinen Gebrauch machen. Allein in den Vivantes-Krankenhäusern haben im vergangenen Jahr 56 000 Menschen nicht gezahlt, das sind 30 Prozent.

Vivantes-Sprecherin Susanne Hentsch sieht trotzdem keinen Grund, an der Zahlungsweise etwas zu ändern: „Die Erste-Hilfe-Stellen sind gar nicht auf Bargeldverkehr eingerichtet“, sagt sie: „Weil sich die Beschäftigten dort in erster Linie auf die medizinische Versorgung der Patienten konzentrieren sollen, haben wir ja die Zahlkarten-Belege extra eingeführt.“

Der Ausfall der Praxisgebühr wird letztlich wieder den niedergelassenen Ärzten in Rechnung gestellt. Die haben meist ein gutes Verhältnis zu ihren Patienten. „Ich käme nie auf die Idee, die Praxisgebühr nicht zu bezahlen“, sagt die 73-jährige Hildegard Picklapp, die in der kardiologischen Praxis des Ärztehauses am Neubritzer Tor sitzt. „Dazu bin ich zu ehrlich. Der Arzt hilft mir schließlich.“ Ihre 27-jährige Enkelin Jana-Christin Deml nickt: „Ich versuche zwar, alle Arzttermine in ein Quartal zu legen, um Geld zu sparen. Aber nicht zahlen? Geht das denn überhaupt?“

Noch geht das in den meisten Praxen. Wenn ein Patient die Überweisung oder das Geld vergessen hat, erhält er eine Rechnung. Bezahlt er die nicht, rufen die meisten Ärzte noch einmal an und melden den säumigen Patienten dann der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin. Die wird, so Vorstandsmitglied Bratzke zusätzlich zu bereits laufenden Musterklagen keine weiteren Gerichtsverfahren gegen säumige Zahler anstrengen. Die Kosten dafür betrügen das 15-fache der Praxisgebühr.

Zum Glück sind Nicht-Zahler die Ausnahme: In der gynäkologischen Praxis Fera in der Wenckebachstraße in Tempelhof behandeln Peter Rott und drei weitere Ärzte etwa tausend Frauen im Quartal. Nur vier bis fünf davon bezahlen die Praxisgebühr nicht. Ähnlich niedrig ist die Zahl der Verweigerer auch bei Heiko Raude, Facharzt für Chirurgie und Gefäßchirurgie im Ullsteinhaus. Und auch die Berliner Zahnärzte sind im Großen und Ganzen mit der Zahlungsmoral ihrer Patienten zufrieden.

Im Neuköllner Ärztehaus hat sich der Berufskraftfahrer Erhard Lehman gerade einer Kieferoperation unterzogen. „Dass ist nicht richtig, was die Richter da beschlossen haben“, sagt er. Nicht nur, weil es am Ende wieder die Ärzte treffe, sondern auch, weil so ein Nicht-Zahler keine zusätzlichen Kosten zu befürchten habe: „Der geht doch gar kein Risiko ein. Das ist, als ob ein Schwarzfahrer, der erwischt wird, nicht mehr bezahlen muss, als die Fahrkarte ohnehin gekostet hätte. Da würden doch alle schwarzfahren, oder?“

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