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Berlin: PREISVERDÄCHTIG: ALLE BLEIBEN IN BEWEGUNG

IN DEN VITRINEN BLINKEN DIE POKALE: AN DER GRUNDSCHULE AM TAUNUSVIERTEL IN LICHTENRADE SPIELT DER SPORT DIE HAUPTROLLE. DOCH MAN MUSS KEIN SUPERATHLET SEIN, UM HIER MITZUHALTEN

Vom Schuldach glotzt überlegen ein Igel auf einen spurtenden Hasen. Schon das Logo der Grundschule im Taunusviertel in Lichtenrade enthält eine bildhafte Lektion in Sachen Sport. Wenn sich zum Bewegungstalent des Hasen noch das taktische Geschick des schlauen Igels aus Grimms Märchenwelt gesellt, steht dem sportlichen Erfolg fast nichts mehr im Wege. Dass viele Schüler das verinnerlicht haben, ist an dieser Schule offensichtlich. Überall stehen Schautafeln mit Urkunden. Auf den Fluren im ersten Stock reihen sich die Vitrinen mit unzähligen Pokalen, die die Schülermannschaften errungen haben. Es glänzt der „Mäuse-Cup“ der Handballer, es funkelt der „Zwergen-Cup“ der Fußballer. Wie viele es insgesamt sind, kann Schulleiter Volker Becker nicht sagen. „Es werden ja immer mehr.“

Die ganze Schule ist seit ihrer Gründung vor zehn Jahren mit dem Sportvirus infiziert. Damals, in den neunziger Jahren, entschied sich die Berliner Schulpolitik für die bundesweite Vorreiterrolle in der Sportprofilierung schon ab der Grundschule. In jedem Bezirk sollte mindestens eine Schule einen sportbetonten Zug anbieten. Volker Becker, passionierter Volleyballer und ehemaliger Sportlehrer von Hertha-Torwart Christian Fiedler, nutzte die Gelegenheit, diese Lücke in Lichtenrade zu schließen. Der damalige Konrektor der nahe gelegenen Bruno-H.-Bürgel-Grundschule übernahm die Leitung der neuen Schule – ein Flachdachbau mit einer großzügigen Turnhalle an der Wiesbadener Straße in Tempelhof. Sportliche Begabungen optimal zu fördern, ist dort seither selbstverständlich.

Acht von 24 Lehrern sind ausgebildete Sportlehrer. In der ersten und zweiten Jahrgangsstufe haben die sportbetonten B-Klassen vier statt drei Stunden Sportunterricht, danach müssen sie einen zusätzlichen Kurs am Nachmittag besuchen. Handball, Fußball, Basketball, Turnen, Leichtathletik, Badminton, Judo und eine Lauf-AG stehen zur Auswahl. Gibt es in einem Kurs noch freie Plätze, können auch Kinder aus den anderen Klassen mitmachen. Mehr Vorbeugung gegen Bewegungsmangel ist kaum vorstellbar. Das ist für Becker auch das zentrale Argument, warum sich Eltern für eine Schule mit Sportprofil entscheiden sollten. „Der Wert des Sports für das alltägliche Leben ist unbestritten“, sagt der Schulleiter. Und meint: Bewegung ist gesund.

Von seinem Büro aus hat Becker durch eine breite Glasfront Rasen und Tartanplatz im Blick. In der Pause jagen dort Jungen in Ribery- und Hertha-Trikots Bällen hinterher. Becker deutet auf ein Dutzend Pokale auf dem Fensterbrett: „Alle vom Trödel.“ Wenn der Rektor seine Schüler motivieren will, kann er flugs einen neuen Pokal stiften. Er muss nur eine neue Plakette drauf kleben und hat einen perfekten Anreiz parat – zumindest für die sportbetonten Klassen, die ihr Bewegungstalent schon bei der Einschulung bewiesen haben. Der Sportschwerpunkt lässt sich bestens mit Fitnessprojekten verknüpfen, in denen die Schüler zum Beispiel etwas über gesunde Ernährung lernen. Eine Krankenkasse stellt für jedes Sportabzeichen Prämien zur Verfügung und klärt an Schulen auf. Zudem hat die Schule beste Kontakte zu Unternehmen, die Schülerwettbewerbe sponsern. Dieses Geld lässt sich ebenfalls für solche Projekte verwenden.

Außerdem, findet Becker, vermittle vor allem der Mannschaftssport Tugenden wie Fairness und Gemeinschaftsgeist. Der Integration ins Ortsteilleben dient, dass die Schule eng mit Vereinen wie dem VfL Lichtenrade kooperiert. Rektor Becker zum Beispiel trainiert die Handballmädchen, die Jungen bringt mit Axel Rasmus ein Vereinstrainer auf Trab.

Sport wecke den Ehrgeiz und Leistungswillen der Kinder und stärke das Selbstbewusstsein, sagt Becker. Vor allem, wenn sich auch Erfolge einstellen. Die Sprintstaffel aus acht Mädchen und acht Jungen durfte dieses Jahr im Vorprogramm der Leichtathletikstars beim ISTAF im Olympiastadion laufen und erreichte einen fünften Platz unter 32 Schulteams.

In der 6 b büffeln und trainieren unter anderem Natascha Schillkowski, Sara Solomonow und Alex Flick. Alex ist in seiner Altersklasse Berliner Turnmeister – im Mehrkampf, an Ringen und Reck und im Bodenturnen. Er möchte der nächste Fabian Hambüchen werden. Natascha will in die Handball-Nationalmannschaft und hat, wie ihr Bruder, die Aufnahme ins Leistungssportzentrum Berlin geschafft, in dem die Werner-Seelenbinder-Schule und das Coubertin-Gymnasium aufgegangen sind. Sara ist schon zweimal beim Vattenfall-Schulcup auf der 2,5-Kilometer-Cross-Strecke allen anderen davongesprintet.

Für Sporttalente wie die drei ist die Grundschule im Taunusviertel ein idealer Ort. Aber wie ergeht es unsportlichen Schülern? Rektor Becker mag den Begriff schon gleich mal nicht. „Unsere Sportlehrer versuchen, niemanden zu entmutigen“, sagt er. „Außerdem hat jedes Kind irgendein sportliches Talent.“ Er erzählt von einem pummeligen Mädchen, das sich als reaktionsschnell erwies. Nun sei die ehemalige Außenseiterin in der Klasse Torwart ihrer Mädchenfußballmannschaft und viel besser integriert als zuvor.

Dennoch: An der wichtigen Rolle des Sports an dieser Schule kommt kaum einer vorbei. Volker Becker kennt die speziellen Stärken der Kinder genau. Rundgang übers Schulgelände: Marie Sophie tollt auf dem Flur. „Sie hat beim Fußball den härtesten Schuss“, sagt Becker. „72 Stundenkilometer“, sagt Marie Sophie. So schnell fliegen die Bälle, wenn sie sie volle Kanne tritt. In der Pause können die Schüler an einer Gerätetheke ausleihen, was sie für eine bewegte Pause brauchen: vom Federballschläger bis zum Hüpfseil. An einer Tür klebt ein Poster mit einem Fußballfeld. Über dem Torwart steht „the keeper“, über dem Mittelstürmer „the striker“. So lernen Sportnarren eben am leichtesten englische Vokabeln.

Auf die Förderung in den übrigen Fächern wirkt sich der Sportschwerpunkt nicht negativ aus. Vor allem im Sommer verpassen die Leute aus den Schulmannschaften zwar manchmal reguläre Unterrichtsstunden, die sie hinterher nacharbeiten müssen. „Aber diese Schüler lernen durch den Sport, sich gut zu organisieren“, sagt Becker. Kinder in sportbetonten Klassen hätten jedenfalls keine schlechteren Noten als die anderer.

Manchmal peppt der Sport sogar den anderen Unterricht auf. Der Fußballmannschaft glückte im Begleitprogramm der WM 2006 etwas Außergewöhnliches: 32 Schülerteams spielten eine Mini-WM aus. Die Lichtenrader traten als „japanische Auswahl“ an – und siegten. Nebenbei erhielten sie Besuch vom japanischen Gesandten und befassten sich in einem Unterrichtsprojekt mit fernöstlicher Kultur. Die Erinnerung daran verblasst nicht. Einer der vielen Pokale im Trophäenschrank hält sie lebendig.

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