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Reif die Lese? Mit einem Handrefrektometer kontrolliert Winzer Manfred Lindicke, ob die Beeren geerntet werden können. Foto: dapd/Theo Heimann

© dapd

Berlin: Premiere hinterm Weinpolarkreis

Winzer aus Werder keltert jetzt in Eigenregie – das ist selten so weit im Norden.

Werder (Havel) - Ganz behutsam werden die Trauben vom Gabelstapler in Entrapp-Maschine geschüttet. Das Gerät trennt die Beeren vom Stielgerüst. In einem zweiten Schritt entsteht die Maische – daraus wird dann der Traubensaft gepresst. Es sind Momente voller Freude aber auch Anspannung, die der Betreiber des Werderaner Wachtelberges Manfred Lindicke durchlebt. 1996 hat er den gut sechs Hektar großen Weinberg übernommen. Bisher wurden die Trauben alljährlich in das sachsen-anhaltinische Landesweingut Kloster Pforta gebracht, wo sie zu Qualitätsweinen verarbeitet wurden. Jetzt hat die Winzerfamilie Lindicke das in die eigenen Hände genommen. Auf ihrem Hof ist in den vergangenen Monaten eine eigene Kelterei entstanden. Fast eine halbe Million Euro hat die Familie investiert, unterstützt mit Fördermitteln der Europäischen Union.

Es ist zweifellos eine Zäsur in der Werderaner Weinbaugeschichte. Erstmals kann der Wein tagfrisch ohne lange Transportwege verarbeitet werden. „Ich verspreche mir davon einen weiteren Qualitätszuwachs, zumal es in letzter Zeit auch Defizite bei der Zusammenarbeit mit Kloster Pforta gegeben hat“, sagt Lindicke. Die Premiere in der eigenen Kelterei lief schon mal erfolgversprechend. „Wir können uns auf einen guten Jahrgang 2012 freuen“, sagt Lindicke.

Bis der neue Wein jedoch in die Flaschen kommt, werden noch einige Monate vergehen, muss der Traubensaft noch mehrere Tanks durchlaufen. Zuerst werden die Schwebstoffe abgesondert, dann wird der Saft etwa zwei Wochen gären, schließlich kann er in einem letzten Tank bis zum März reifen – immer bei konstanten Temperaturen zwischen 16 und 18 Grad. Insgesamt stehen im neuen Kelterhaus 30 glänzende Tanks mit einer Gesamtkapazität von 80 000 Litern. Neben den eigenen Trauben sollen auch die vom Phöbener Wachtelberg verarbeitet werden. Dieses kleine Weinanbaugebiet bei Werder ist kürzlich vom Gastronomen Jens-Uwe Poel übernommen worden, mit dem Lindicke kooperiert. Jetzt wurde Poel Anteilseigner der neuen Kelterei.

Auf dem Werderaner Wachtelberg baut Lindicke mittlerweile sechs Weiß- und drei Rotweinsorten an. Der andernorts obligatorische Riesling fehlt allerdings. „Ich will nicht das machen, was andere besser können“, sagt Lindicke. Überzeugen will der Winzer mit dem Ausbau von geschmacklich filigranen Weinen. „Sie sollen mit ihrem Aroma glänzen und nicht durch ihren Zuckergehalt.“

Nach dem Müller-Thurgau sollen der rote Regent und der weiße Sauvignon Blanc vom Werderaner Wachtelberg in die Tanks kommen. Allen gemein ist – sie werden nördlich des sogenannten Weinpolarkreises angebaut, der nach Expertenmeinung bei 51 Grad nördlicher Breite verläuft. Die Werderaner Reben stehen immerhin schon bei etwa 52 Grad. Hagen Ludwig

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