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Prenzlauer Berg: Gethsemanekirche: Revolution in der Kirchenbank

Die Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg erinnert mit Ausstellung und Veranstaltungen an den Mauerfall.

Die Mädchen saßen zu Hause mit einem Zettel und einer Telefonnummer. Die sollten sie anrufen, im Fall der Fälle. Falls die Mutter nicht mehr zurückkommt. Ursula Kästner, die Mutter, war aktiv in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Im Oktober 1989 war das nicht ungefährlich.

Es ist Donnerstag, 20 Jahre später. Ursula Kästner, eine robuste Frau von heute 58 Jahren, sitzt in einer Kirchenbank und sagt: „Als wir hier saßen und hörten, wie der Lärm draußen immer lauter wurde, da dachte ich, oh Gott, was passiert jetzt? Wir haben gebetet. Dann sind wir raus. Die Angst war weg, und wir taten, was zu tun war.“ Sie spricht über den Abend des 7. Oktober 1989, die große Demonstration am Alexanderplatz war von der Polizei auseinandergetrieben, Demonstranten geprügelt worden. 3000 Protestierer retteten sich in die Gethsemanekirche.

Seit Anfang Oktober hielten hier ein Dutzend Menschen eine Mahnwache ab, um an das Schicksal inhaftierter Demonstranten in Leipzig zu erinnern. Das Gemeindetelefon diente als „Kontakttelefon“. Hier liefen Informationen über Widerstandsgruppen aus der ganzen DDR zusammen. In einer Kladde wurde festgehalten, wer wann welche Nachrichten übermittelte. Unter dem 7. Oktober steht zum Beispiel, dass etliche „chinesische Zustände“ wie auf dem Tiananmenplatz fürchteten. Die Angst war groß. Viele andere riefen anonym an, um zu fragen, wie sie helfen können.

Die Kladde, der Kalender eines Pfarrers, Karteikarten mit Notizen, wer wann verhaftet wurde, und viele andere Dokumente und Gegenstände – auch der Schlagstock und der Dienstkalender eines Volkspolizisten – sind in der Ausstellung „Wachet und betet“ zu sehen, die ab heute in der Gethsemanekirche gezeigt wird. Sie versucht zu erklären, warum ausgerechnet die Gemeinde in der Stargarder Straße 1989 ihre Türen öffnete. Schon in früheren Zeiten trafen sich hier widerständige Menschen, in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Friedenskreis und die DDR-weit einzige Lesbengruppe.

„Trotzdem war es nicht selbstverständlich, dass uns die Gemeinde unterstützt hat“, sagt Tom Sello, der vor 20 Jahren die Mahnwache mitinitiiert hat. Sie hätten damals alle Stadtkirchen angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Nur Gethsemane und Zion waren bereit dazu. Die Ausstellungsbesucher sollen Kerzen mitbringen, sagt Sello. Damit das Kirchengebäude noch einmal eingebettet ist in flackernde Lichter, so wie in jenen dramatischen Tagen vor 20 Jahren. Am Abend des 7. Oktober 1989 drängten Tausende in die Kirche. „Einige waren verletzt, viele traumatisiert, alle aufgebracht“, sagt Ursula Kästner. Der Pfarrer sang mit ihnen „Dona nobis pacem“ – gib uns Frieden – und beruhigte.

Gemeindemitglieder haben Zeitzeugen befragt und Zitate aus den Gesprächen über die Kirchenbänke verteilt. „Da mitzumachen, hätte bedeutet, immer Angst zu haben: Jetzt kommt die Hand und greift dich, und dann biste im Stasiknast. Und da wollte ich nie hin.“ Nicht jeder hatte Mut. Ursula Kästner schon. Auch Glück. Ihre Töchter mussten die Notfallnummer nie wählen. Eine Heldin will sie aber nicht sein. „Wir Protestanten haben einen Auftrag zu erfüllen“, sagt sie, „Das habe ich gemacht.“ Claudia Keller

Ausstellung bis 18.11., Mo.-Fr. 14-18 Uhr, So bis 17 Uhr. Außerdem gibt es Podiumsdiskussionen, eine Filmreihe, Vorträge und Konzerte. Veranstaltungsschwerpunkt ist der 7./8./9. Oktober. Stargarder Str. 77, Infos unter www.wachet-und-betet.de

Claudia KellerD

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