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© Heerde

Prenzlauer Berg: Im Bannkreis der Bürger

Mit Umbauplänen für Prenzlauer Berg hat es das Bezirksamt Pankow schwer. Fast immer wollen die Anwohner mitreden. Die Parteien versuchen aus vielen umstrittenen Projekten eigenes Kapital zu schlagen.

Zuletzt verhagelte ein Déjà-vu-Erlebnis Jens-Holger Kirchner die Laune. An sich kann Pankows grüner Verkehrsstadtrat gut mit den Leuten in Prenzlauer Berg, die ihn beim rituellen Schimpfen über die Bezirksspitze meist ausklammern. Doch nun eckt er binnen eines Jahres zum zweiten Mal mit einer Straßensanierung an. Im vergangenen Herbst erntete Kirchner mit Umbauplänen für die Oderberger Straße heftigen Widerstand der Anwohner. Nun ergeht es ihm an der Kastanienallee genauso. In den Lokalen liegen Unterschriftenlisten gegen das „Horrorprojekt“ aus. An Fenstern pappen Aufkleber in einem Dutzend Sprachen, auf denen ein Stopp gefordert wird. Als Kirchner das Vorhaben im Juni vorstellte, reagierten rund 200 Anwohner erbost. Tags darauf gründeten der Regisseur Matthias Aberle und der Mediziner Daniel Röttger eine Bürgerinitiative (BI). Bald hatten sie über 1000 Unterschriften gesammelt.

Derlei geschieht in Prenzlauer Berg so gut wie immer, wenn das Pankower Bezirksamt etwas macht. Kürzlich trommelten einige Dutzend Bewohner des Helmholtzkiezes gegen die vom Bezirk beinahe abgeschlossene Bepflasterung einer Brache an der Ecke Stargarder Straße/Dunckerstraße. Die BI dort nennt sich „Wir können auch grüner“, weil sie den Platz grüner haben will. Das geforderte Grün wachse im Schatten der majestätischen Bäume überhaupt nicht, konterte der stellvertretende Leiter des Umweltamtes, Walter Schläger. Spielplätze gebe es woanders, ein Brunnen sei zu teuer. Außerdem habe der Bezirk die Umgestaltung schon vor zwei Jahren beschlossen – im Dialog mit Anwohnern. „Jetzt dagegen zu protestieren, ist einfach zu spät“, findet auch die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Christine Keil (Linke). Die Trommler hätten vor zwei Jahren wohl noch nicht im Kiez gelebt.

Streit um Radfahrweg

Für Aufgeregtheit ist es im Ortsteil allerdings nie zu spät. In Prenzlauer Berg will man über das Geschehen vor der Haustür mitreden. Die Bezirkspolitiker stehen unter Dauerbeschuss. Und doch lauern sie stets auf Momente, aus denen sie womöglich Kapital für die eigenen Farben schlagen können. Im Falle der BI Kastanienallee kostete die rot-rote Mehrheit in der BVV die Gunst der Stunde aus. SPD und Linke legten Kirchners Pläne im Verkehrsausschuss vorerst auf Eis und setzten eine Bürgerbeteiligung durch. Ein kleiner Triumph, kokettieren doch gerade die Grünen stets mit ihrem guten Draht zu den Initiativen. Aber im Fall der Kastanienallee hatten sie und ihr Stadtrat über das Prinzip der Teilhabe ein inhaltliches Ziel gestellt: mehr Sicherheit für die Radler. Kirchner will auf beiden Seiten der Straße je anderthalb Meter für die Radfahrer abzwacken, damit die nicht mehr zwischen den Straßenbahngleisen fahren müssen. Dass dies die Hälfte der Parkplätze und Raum für die Schankvorgärten kosten würde, sah Stadtrat Kirchner gelassen: „Die Oderberger ist ein Mythos, die Kastanienallee nicht.“ Jetzt muss er sich unverhofft doch mit der BI Kastanienallee auseinandersetzen.

Die macht derzeit mächtig Zunder. In einem offenen Brief bezeichnet Röttger den Umbau der Kastanienallee als „dummdreiste Zwangsbeglückungsmaßnahme“, wie es sie im Bezirk im Überfluss gebe. Stadtrat Kirchner sieht es als Erfolg an, im verschuldeten Pankow aus dem Denkmalschutztopf des Landes erst 2,5 Millionen Euro für die Oderberger Straße und jetzt noch einmal 1,9 Millionen für die Kastanienallee ergattert zu haben. Geldverschwendung, wettert die BI. Aberle und Röttger halten die Pläne des Bezirksamts für Quatsch. Sie meinen, dass die abgezwackten Streifen die Risiken für Radfahrer erhöhen. Etwa dann, wenn sie wegen haltender Liefertransporter plötzlich doch aufs Terrain der Autos ausweichen müssten.

Proteste im Gleimviertel

Die beiden BI-Gründer geben ein Paradebeispiel für die Entfremdung vieler Bewohner vom Pankower Rathaus ab. Ihr Engagement begannen sie vor fünf Jahren, als sie die Bürgerinitiative Wasserturm gründeten. Damals wehrten sie sich gegen Baumfällungen rund um den Wasserturm, ihr Gegenspieler war der Umweltstadtrat und heutige Bezirksbürgermeister Matthias Köhne (SPD). Das große Abholzen konnte die BI nicht verhindern. Zur Kommunalwahl 2006 gründeten die Aktivisten sogar eine eigene Partei: die Unabhängige Wählergemeinschaft Pankow, kurz UWP.

Heiner Funken vom Bürgerverein Gleimviertel spricht von „Unduldsamkeit gegenüber Verwaltungsirrsinn“ als Triebfeder des Protestes. Im Gleimviertel kämpfen sie unter anderem gegen eine Bebauung des Mauerparks und gingen im Frühjahr auf die Straße, um Hunderte kranker Traubenkirschen zu retten – vergeblich. Auch hier ging es um Baumfällungen, die abermals Köhne angeordnet hatte. Den kühlen Verwaltungsfachmann beschimpften die Aktivisten wüst, während sie den Grünen Kirchner als Vorbild priesen.

Parteien weisen Erfolg von Bürgerinitiativen als eigenen Verdienst aus

Doch auch andere Parteien spielen den Anwalt der Bürger, wenn es eine Gelegenheit gibt. Dass die von Kulturstadtrat Michail Nelken (Linke) wegen Geldmangels geschlossene Kurt-Tucholsky-Bibliothek nun in Regie des Vereins Pro Kiez Bötzowviertel geöffnet bleibt, feiern die Linken laut als ihren Erfolg. Er sei in einem engen Miteinander des Vereins und linker Politiker gelungen.

Aberle und Röttger von der Kastanienallee sagen, dass sie derzeit vor allem bei der SPD-Fraktion in der BVV Gehör fänden. Die SPD plädiert gegen Radstreifen auf der Kastanienallee, weil demnächst die parallele Choriner Straße als Fahrradstraße ausgewiesen werde.

Die Grünen ficht all das in ihrem Selbstbild als Patrone bürgerschaftlichen Engagements nicht an. Es zeigt aber, wie mühsam sich Volkes Stimmungen kalkulieren lassen. Stadtrat Kirchner mag derzeit manchmal an das Schelmenstück an der Hufelandstraße denken. Dort wollte er neue Platanen pflanzen. Den Segen der Anwohner dafür gab es erst, nachdem sich ein Bündnis „Hohe Bäume für heiße Sommer“ im Februar gegen eine ursprüngliche Initiative mit dem Namen „Erhalt der grünen Vielfalt“ durchsetzen konnte. Letztere wollte die Pflanzungen unbedingt verhindern, damit noch Sonne auf ihre Balkone scheint. Hinter dieser BI steckte ausgerechnet ein Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus.

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