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Entlang der Straßburger Straße soll ein siebenstöckiges Wohnhaus entstehen.

© Thilo Rückeis

Prenzlauer Berg: Im Kollwitzkiez sollen drei Wohnblöcke verschwinden

Entlang der Straßburger Straße werden Wohnungen eines Mietblocks aus DDR-Zeit abgerissen, um Platz für einen Neubauriegel zu schaffen. Kritiker sprechen von „Gentrifizierung – Phase III“, der Eigentümer hält sein Konzept für sozialverträglich.

Die „letzte Bastion“ von Prenzlauer Berg, wie es mal war, lange vor der Eroberung durch den Bionade-Zeitgeist, soll geschleift werden. Sagt einer, der dort wohnt, auf 58 Quadratmetern für 346 Euro. Von Beruf Kfz-Mechaniker. Die letzte Bastion besteht aus drei kasernenartigen Mietblöcken, quer zur Straßenfront ins Grün gestellt, DDR-Jahrgang 1961, erkennbar am grobporigen Putz. Gebaut haben sie damals gleich selbst, erzählen die älteren Bewohner. Trümmersteine zermahlen, Fundamente gegossen, alte Keller ausgeräumt. Sie nennen sich „Miterschaffer“.

Und nun soll das alles nichts mehr wert sein?

„Gentrifizierung – Phase III“, heißt es in einschlägigen Foren im Internet. Keine Altbausanierung oder Lückenfüller-Lofts, sondern Teilabriss mit anschließender „Verdichtung“ unter Missachtung historisch gewachsener Strukturen. Die Lage ist verlockend. Mitten im boomenden Kollwitzkiez, in Laufnähe zu Spielplätzen, U-Bahnhöfen und trendigen Cafés. Nebenan ist das „Palais KolleBelle“ entstanden, mit Eigentumswohnungen für frankophile Gutverdiener im klassischen Gründerzeitdekor.

Die hat der gleiche Eigentümer gebaut, der jetzt die Bastion schleifen will: Rainer Bahr, ehemaliger Grünen-Politiker. Er verteidigt sein Konzept als „sozialverträglich.“ 20 von insgesamt 110 Wohnungen werden abgerissen, um Platz für einen Neubauriegel entlang der Straßburger Straße zu schaffen. 40 bis 45 Millionen Euro soll das Vorhaben kosten. Die Mieter, deren Zuhause weichen soll, bekämen im gleichen Block ähnlich geschnittene Wohnungen mit zusätzlichem Komfort wie Fahrstuhl und Zentralheizung, ohne Mieterhöhung, fünf Jahre lang. „Das wird durch die Gewinne aus den Neubauwohnungen quersubventioniert. Der Sozialplan kostet uns 500 000 Euro.“ Außerdem entstünden Tiefgaragen, was das akute Parkplatzproblem im Kiez mildern würde.

Reinhard Preuß, Bauingenieur im Ruhestand, ist bisher gut ohne Garage und Fahrstuhl aufgekommen. Außerdem möchte er nicht in einen Hinterhof verbannt werden. „Ich werde bis zum Tod hier ausharren.“ Seine Wohnung und er kennen sich seit 50 Jahren. Das Badezimmer zwei Mal eigenhändig gefliest, die Kohleöfen abgerissen, den Fußboden schallgedämmt und die Schrankwand projektiert. Seine Frau Bärbel erzählt von der guten Hausgemeinschaft und dem vielen Grün. „Wir sind glücklich hier.“ Die Miete: 307 Euro für 57 Quadratmeter. Solche Wohnungen kosten in Prenzlauer Berg sonst das Doppelte.

Die Mieter bilden eine geschlossene Front. „Fast 100 Prozent sind gegen das Bauprojekt“, sagt Anwältin Carola Handwerg, die sich der Sache angenommen hat. Sie ist guter Dinge, etwas unternehmen zu können. „Eine Abrisskündigung ist nicht möglich, weil die Blöcke komplett vermietet und saniert sind.“ Aber die Front bröckelt. Zwei Mieter sind vor kurzem gestorben. Andere hat der Eigentümer mithilfe von 10 000 Euro dazu bewegen können, auszuziehen. Neun Wohnungen stünden inzwischen zur Verfügung, um Mieter umzusetzen. sagt Bahr. „Die ersten Gelder sind ausgezahlt. Wir spielen nicht.“

Der Streit hat die politische Bühne erreicht. Kollwitzkiezbewohner und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) hat sich für die Mieter stark gemacht und dem Baustadtrat von Pankow, Michail Nelken (Linke), Untätigkeit vorgeworfen. Längst hätte zum Schutz des Status quo ein Bebauungsplan erlassen werden können. Nelken kontert: „Ein Verhinderungs-B-Plan würde vor Gericht sofort kassiert.“ Persönlich findet er das Bauvorhaben „völlig überflüssig“, aber „ich bin nicht der Eigentümer“.

Die Fraktionen der BVV sind für einen B-Plan, umstritten ist aber der Inhalt. Am kommenden Donnerstag beschäftigt sich der Stadtplanungsausschuss von Pankow mit dem Thema. Investor Bahr droht vorsorglich mit einer Schadensersatzklage, egal wie der B-Plan ausfällt. Denn in jedem Fall würde sich sein Vorhaben um ein Jahr verzögern. „Wir haben einen Baupreis bezahlt, der das aktuelle Baurecht bewertet.“ Danach könnte er die vorhandenen Mietblöcke sogar komplett abreißen und alles neu bebauen. Aber er möchte ja „Rücksicht nehmen“ auf die Mieterinteressen. „Wir werben für das Gespräch.“

Doch weder Wolfgang Thierse noch die Mieter wollen mit ihm reden. Worüber auch? Dass man mal zur Humboldt-Universität gehörte, eine Genossenschaft war? Dass man sich selber als Eigentümer fühlte? Im Jahr 2004 ging die Genossenschaft pleite, wegen „Missmanagement“, wie Mieter Preuß sagt. Die Häuser wurden an einen luxemburgischen Immobilienfonds verkauft, der an Rainer Bahr weiterverkaufte. Der müht sich nun redlich, über den Fall nichts Falsches zu sagen: Er wisse um die „hohe emotionale Bindung der Mieter an ihr Haus“. Aber „man kann einen Investor nicht für die gesamte Geschichte seines Eigentums verantwortlich machen“.

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